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"Uganda Tomorrow" scheiterte

13.03.2010 | 19:48 | Rainer Nowak (Die Presse)

Die Wiener Kunstszene, von Abraham bis Weibel, wollte 1970 zur Uganda-Expedition aufbrechen – mit eigenem Flugzeug, eigener Hymne und unterschiedlichen Plänen. Doch "Uganda Tomorrow" scheiterte.

Wäre das gecharterte Flugzeug auf dem Weg nach Uganda abgestürzt, gäbe es in Österreich heute kaum Künstler. Oder ganz andere. Aber keine Aktionisten. Keinen Christian Ludwig Attersee, keinen Günter Brus. Keine Valie Export. Keinen Hermann Czech. Keinen Hans Hollein, keinen Hermann Nitsch, keinen Oswald Oberhuber, keinen Max Peintner, keinen Walter Pichler, keinen Peter Pongratz, keinen Arnulf Rainer, keinen Peter Weibel.
Aber das Flugzeug stürzte nicht ab, es hatte nämlich nie abgehoben. Denn die mit unglaublichste und interessanteste Idee der österreichischen Kunstgeschichte musste abgebrochen werden, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Dabei waren die Organisatoren von „Uganda Tomorrow“ schon ziemlich weit. Es gab eine fixe Runde zwecks Organisation, eigenes Briefpapier, eine Vereinssekretärin, erste Verträge mit Sponsoren (die Wiener Städtische und die Austrian Airlines), eigens komponierte Musik und mindestens rund 80 heute prominente potenzielle Teilnehmer an der Reise.

Nachdem die Sache 1970 geplatzt war, geriet das bunte Projekt völlig in Vergessenheit, die Recherche 40 Jahre danach gestaltet sich einigermaßen komplex: Es gibt so viele Varianten der Geschichte wie Gesprächspartner. Nur die erste Reaktion auf die Frage nach der „Uganda Tomorrow“-Aktion ist stets dieselbe: perplexes Schweigen und dann ungläubiges Gelächter. John Sailer reagiert genau so, der Eigentümer der Galerie Ulysses war von Anfang an dabei und hat – gut archiviert – noch einige Bögen des Briefpapiers. Kurt Kalb, Kunsthändler und Mitbegründer des Uganda-Projekts, hatte es selbst entworfen.

Und Sailer hat auch noch dutzende durchaus ernsthafte Bewerbungen sowie die gesamte Liste aller Uganda-Aktivisten, auf der auch zahlreiche verstorbene Darsteller des Landes stehen: Raimund Abraham, H. C. Artmann, Wolfgang Bauer, Fatty George, Bruno Gironcoli, Friedensreich Hundertwasser, Helmut Qualtinger, Gerhard Rühm und Oswald Wiener. Offenbar hätte auch Herr Heinz, Kellner aus dem Hauptquartier der Bewegung, dem Café Hawelka, mitfahren sollen.

Eigentlicher Initiator war aber Hans Neuffer, der für einen Industriekonzern auch in Uganda unterwegs gewesen war, dort eine Fabrik aufgebaut und das Land lieben gelernt hatte. In Wien erzählte der enge Freund Udo Prokschs – der hätte natürlich auch mitfahren sollen – und Mitglied der kleinen Wiener Künstlerszene von seinem neuen Traumland. Neuffer, der gern als Dandy mit Nadelstreif und Tennisschuhen – „Das war unvorstellbar damals, aber es stand ihm.“ (Sailer) – auftrat, brachte die Idee auf, die die Partie begeisterte. Keiner kannte Uganda, Klischees von lustigen Negerstämmen, wie man damals fast unschuldig sagte, die im Geiste der 68er lebten, prägten die Traumvorstellungen. Was der eigentliche Sinn der Expedition genau war, ist nicht mehr ganz nachvollziehbar. Die einen sprechen von einem ungezwungenen Party-Urlaub mit Freunden, die anderen von einem ernsthaften Kunstprojekt.

Christian Ludwig Attersee, der laut Sailer erst später zur Gruppe stieß, betont nur diesen Aspekt: „Es ging um ein Filmprojekt.“ Happenings und Kunstaktionen hätten von einem bayerischen Filmteam um Regisseur Christof Stenzel begleitet und dokumentiert werden sollen. Andere wollen sich bei „Uganda Tomorrow“ mehr an den Aspekt der freien Liebe im Zuge der Völkerverständigung, ja gar mit dem Ziel, liebe schöne Babys mit schönen Müttern aus Uganda und künstlerischen Vätern aus Österreich in die Welt zu setzen, erinnern. Sailer hält im Nachhinein manches für möglich: Es sei ganz klar um ein Kunst-Happening gegangen, „aber es hätte natürlich viel passieren können“. Der Lebenswandel vieler Teilnehmer sei wohl Garant dafür gewesen, dass es während des Flugs und des Aufenthalts nicht beim Wasser allein geblieben wäre. Und der Sex? Sailer: „Das waren einfach ganz andere Zeiten. Heute leben wir unterschiedlich – einfach kleinbürgerlicher.“

Wirtshäuser in Kampala. Dabei liest sich das offizielle Programm von „Uganda Tomorrow“ harmlos: „Für die nächsten vier Tage ist ein Aufenthalt in Kampala vorgesehen. Als Unterkunft ist die Universität Makarere gedacht. Die Verpflegung bleibt Sache der Teilnehmer: Kampala verfügt über eine Reihe von Restaurants; ihre Preise sind mit den Wiener Wirtshäusern vergleichbar. In Kampala sind zwei Abendveranstaltungen geplant: An einem Abend spielen die Police-Band von Uganda und die Heart Beat of Africa.“

Die Österreicher wollten der Gegenseite bei diesem Kulturaustausch auch etwas bieten: Neben möglichen Aktionismus-Darbietungen überlegte das Organisationskomitee den Einsatz der Hof- und Deutschmeister, um schon bei der Landung einen guten Auftritt zu haben. Der war vor allem Uganda-Kenner Neuffer, der heute nicht mehr lebt, wichtig. Bei einem vorbereitenden Besuch schaffte er das mittels eines kleinen Tricks: Er hatte sich wieder einmal in der Wiener Zauberklingel ausgestattet und begrüßte den offiziellen Abgesandten Ugandas in Kampala mit dem Einsatz von Zaubertinte. Was dieser angeblich nicht so lustig fand.

Dass dieser kleine diplomatische Fauxpas der Grund für das Scheitern der gesamten Mission war, bestreiten mehrere Teilnehmer. Denn auch dazu gibt es unterschiedliche Versionen: Der Vereinskassier sei mit dem ohnehin bescheidenen Kapital für die Reise durchgebrannt. Stimmt nicht, sagt Attersee: Es habe nur eine Kellnerin – oder war es ein Kellner? – einen kleinen Teil der Ausrüstung abgezweigt. Er nennt politische Gründe: Mit der Machtübernahme von Idi Amin sei das Projekt gestorben. Das passierte allerdings erst nach Silvester 1970/71, an dem die Reise hätte stattfinden sollen.

Seiler hingegen sieht Attersee – ohne dessen böse Absicht – als Teil des Endes von „Uganda Tomorrow“. Denn dem Projekt fehlte das Geld. „Die allerwenigsten von uns hatten etwas, kaum einer eine ss-21;0eigene Wohnung“, sagt Seiler. Daher fahndss-16;0ete man nach weiteren Geldgebern – an diesem Punkt wurde Christof Stenzel aktiv: In einem Schreiben suchte man mittels Filmprojekts um Unterstützung in Deutschland an. In einem ausführlichen Bettelbrief skizzierte man das Projekt für die jeweilige „Werbeabteilung des Hauses“: „Zum Jahreswechsel 70/71 wird eine Gruppe namhafter deutschsprachiger Künstler, vornehmlich aus Österreich, eine mindestens zweiwöchige Reise durch den Busch von Uganda unternehmen.

Es handelt sich nicht um ein touristisches Unternehmen – oder um das Zitat eines solchen –, sondern um eine sogenannte Aktion, um ein Happening, sicherlich um das umfangreichste, längste und größte Happening, das je durchgeführt wurde, denn außer den Europäern werden die Mitglieder von drei Eingeborenenstämmen aktiv daran teilnehmen.“ Das Unternehmen werde in engem Kontakt mit der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt. Ein abendfüllender Film darüber wurde ebenso versprochen wie eine TV-Dokumentation. Und: „Eine eigene Hymne und ein besonderer Schlager wurden bereits komponiert – André Hellers ,Servus, lieber Neger‘.“

Diese Versprechen und Ausfallhaftungen waren ihnen dann doch zu viel, sagt Sailer: Man könne doch keine Aktionen von Brus, Otto Mühl und Nitsch garantieren – die passierten nur aus einer künstlerischen Stimmung heraus. Das Unternehmen sei plötzlich zu kommerziell geworden, sagt Sailer. Das Kapitel „Uganda Tomorrow“ wurde beendet, bevor es überhaupt begonnen hatte.


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