Avantgardistische Frauenpower in den Siebzigern
ERNST P. STROBL rOM (SN). Der Kampf der Frauen dauerte lang, und so weit zurück liegt die Zeit nicht, da mit markanten Slogans das Recht auf den eigenen Körper oder auf Abtreibung und die Emanzipation sowieso eingefordert wurden. Wie so oft, bildete sich in der Kunst eine Speerspitze für den Kampf in der Gesellschaft. Es waren seit Jahrtausenden Männerfantasien, die das Bild der Frau erschaffen hatten, bis in den Siebzigerjahren Künstlerinnen quasi zur Selbsthilfe griffen. Sie begannen, Klischees und Stereotype zu hinterfragen. Sie wandten sich gegen das Diktat der Schönheit, das Private wurde zum politischen Statement. Die Frauenbewegung wurde in der Kunst zur Avantgarde. Die Künstlerinnen wandten sich vom traditionellsten „femininen“ Medium, der Malerei ab, und fanden in der Fotografie und neuen Medien wie Video oder Performance ihre Vehikel, den Männern den Kampf anzusagen, vor allem im Sinn der Verwirrung von Begriffen und Bildern.
Frauen fotografierten sich nackt in Posen und mit Zutaten, die wohl nicht nur den männlichen Betrachter verunsicherten. Die 1940 in Linz geborene Valie Export wurde mit ihren Performances und Fotos zur Vorreiterin in Österreich. Die 2004 vom österreichischen Stromkonzern gegründete Sammlung Verbund besitzt gerade aus den Siebzigerjahren eine enorme Anzahl von weiblicher Avantgarde-Kunst. Eine italienische Tochterfirma des Verbundkonzerns machte es möglich, dass in der renommierten Galleria nazionale d'arte moderna Kunst aus der Wiener Konzernsammlung unter dem Titel „Donna: Avanguardia femminista negli anni 70“ an die Pionierinnen erinnert, die ihren Nachfolgerinnen den Weg ebneten. Am vergangenen Donnerstag eröffnete Konzernchef Wolfgang Anzengruber in Rom die feministische Schau, die von der Verbund-Sammlungsleiterin Gabriele Schor und ihrer römischen Kollegin Angelandreina Rorro kuratiert wurde.
„Tiefe statt Breite“ pflegt Gabriele Schor die Idee hinter der anwachsenden Kunstsammlung zu nennen. Was den Feminismus und die Siebzigerjahre betrifft, scheint man auf kleinen Schätzen zu sitzen. Mit über 200 Werken darf man sich zu den führenden Sammlungen feministischer Kunst zählen. In sieben Räumen der Galleria nazionale sind vorwiegend kleine Schwarz-Weiß-Fotos gehängt, darunter vielfältige Serien und auch Werke, die zum ersten Mal zu sehen sind.Subtil verpackte Botschaften Neben namhaften Vertreterinnen der feministischen Avantgarde wie eben Export oder Cindy Sherman, die unter anderem mit frühen clownesken Porträts und Rollenspielen neben einer großen Kleinformatserie mit Menschen „im Bus“ vertreten ist, sind unter den 17 Künstlerinnen auch weniger bekannte Frauen aus aller Welt, deren Werk auch auf den zweiten Blick berühren kann.
Frauen waren oft subtil und erfindungsreich, wenn es galt, das feministische Anliegen in ihren Arbeiten zu verpacken. Die früh verstorbene Birgit Jürgenssen erfand nicht nur bei ihren Fotos und Porträts mit Gegenständen surreale Szenen, auch Objekte wie ein Schuh mit Tiergebiss haben einen Schuss bizarren Humor. Eleanor Antin maskiert sich mit langem Bart und Hut zum „King“ und entwickelt aus der Identität ein Spiel. Renate Bertlmann verbindet fast poetisch männliche und weibliche Formen in „zärtlichen“ Berührungen. Alles andere als zärtlich sind die Bilder und Videos von Ana Mendieta, ein Körper entwindet sich einem Grab aus Steinen, über ein Gesicht rinnt Blut, auch das auf Glas gepresste Gesicht erhält Formen abseits von Schönheitsklischees.
Einige der Frauen sind bereits in jungen Jahren gestorben, wie etwa die Italienerin im Reigen, Ketty La Rocca, die sogar ihre Krebskrankheit im Röntgenbild verarbeitete und Auflösungen von Figuren vorführt. Francesca Woodman, die eindrucksvolle Fotos ihres Körpers bei Verrenkungen, Posen mit einem Spiegel und Porträts von schemenhaften Figuren erarbeitete, wählte den Freitod. Über das Leben und den Tod, über Jung-Sein und Altern wird ebenfalls reflektiert, wie etwa in den Bildern von Hanna Wilke. Sie musste sich gar gegen Fundamentalistinnen zur Wehr setzen und tat dies mit einem Plakat „Marxism and Art: Beware of Fascist Feminism“. Ganz zart ist das Statement der deutschen Fotokünstlerin Annegret Soltau, deren Gesicht nach und nach mit Bindfäden verpackt wird, ehe das Muster aufgeschnitten wird. Eine sehenswerte Schau (bis 16. Mai).