Quer durch Galerien
Das arme Fahrrad hat Hausarrest
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Fern und gleichzeitig sehr anwesend: die Holzdamen von Walter Moroder. Galerie Chobot
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David Moises lüftet das Geheimnis der fliegenden Teppiche. Gut, er ist weniger dezent als andere Teppichpiloten. Galerie Charim
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Da müssen wir durch. Zur rituellen Reinigung. Für Leute, die noch an
die Fortbewegung glauben. "Touch of the tiger" (David Moises): Bürsten,
sanft wie ein vorbeistreifender Tiger. Galerie Charim
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Von Claudia Aigner
Es gibt natürlich schon einen Grund, warum Straßenbahnen so selten
entführt oder als Fluchtfahrzeuge bei Banküberfällen verwendet werden.
(Im letzteren Fall sollten die Bankräuber, um das Zusteigen
unbeteiligter und nicht beutebezugsberechtigter Fahrgäste zu vermeiden,
sicherheitshalber "Sonderfahrt" vorne draufschreiben.) Die Straßenbahn
ist bei wilden Verfolgungsjagden mit der Polizei einfach nicht so
wendig wie das Konkurrenzprodukt Auto. Und man kann damit so schwer
über die Grenze. Noch dazu unauffällig.
Die Fahrstrecke ist bekanntlich, auf Grund der fanatischen
Spezialisierung auf Schienen, weil die Bim also sehr wählerisch ist,
vorherbestimmt, geradezu Schicksal. Die Bim kann ja nicht einmal eine
vor ihr dahinschleichende Straßenbahn links überholen (was die Ursache
dafür sein dürfte, weshalb auf dem Überholverbotsschild Autos und nicht
zugähnliche Gefährte abgebildet sind). Aber wenn etwa der Sechziger
nach der Endstation Rodaun am liebsten nach Italien weiterfahren tät’
und vor Fernweh vergeht? Dann kann dem armen Teufel wohl nicht einmal
der David Moises helfen, der immerhin schon einen Hometrainer in
ähnlichen Nöten geheilt hat.
Ein Hometrainer ist ein Fahrrad, das Hausarrest hat. Niemals wird
ein Hometrainer in die Verlegenheit kommen, in einen Verkehrsunfall
oder in die Tour de France verwickelt zu werden, und nie werden seine
Pedale mit Rückstrahlern veredelt werden, geschweige denn, dass er
jemals jemanden, der eine Mitfahrgelegenheit sucht und dies mit seinem
Daumen kundtut, mitnehmen wird. Denn seine Bestimmung ist es, dass er
nirgendwo ankommt, weil er immer schon da ist. Er fährt mit vielleicht
30 km/h verbissen dorthin, wo er bereits ist. Und wird dabei sogar von
einem Teppich überholt. Oder zumindest von einem Staubsauger.
David Moises hat so einen Hometrainer in einer mehrstündigen
Operation erfolgreich gesundgepflegt, nämlich erkannt, dass das Ganze
ein orthopädisches Problem ist und mit dem Bewegungsapparat
zusammenhängt, und hat diesem frustrierten "gelähmten Fahrrad"
gewissermaßen einen "Gnadenmotor", einen Dynamo und Räder verabreicht.
Freilich hat er mit dieser "gutgemeinten Sabotage" die ursprünglichen
Vorzüge (der Fahrer braucht sich keine Muskeln für die Rückfahrt
aufzuheben) neutralisiert.
Charim Galerie: Ein Teppich auf der Flucht
Es besteht ja der Verdacht, dass David Moises viel höher hinaus will
mit seinen Basteleien. Womöglich hat auch er etwas mit dem Weltall vor.
Nicht zuletzt wird der Besucher in der Charim Galerie (Dorotheergasse
12, bis 7. Mai) begrüßt oder besser: vorgewarnt von der Spielkonsole
"Challenger" (wie das Mehrweg-Raumschiff der NASA, das nicht übers
Himmelblau hinausgekommen ist, sondern vorher explodiert ist), und
dieser Spielapparat hält stur und mit anorganischer Computerstimme eine
anachronistische Vorlesung über die veraltete Zukunft der Raumfahrt:
aus der Perspektive der Zeit vor der ersten Mondlandung. Er schwärmt
sozusagen nachträglich (als die Zukunftsvisionen ihr Haltbarkeitsdatum
längst überschritten haben) und voller Aufbruchsstimmung von der
mittlerweile vergangenen kommenden Zeit, indem er selbstgenügsam das
Buch "Raumfahrt – das große Abenteuer" (erschienen 1967) herunterbetet.
Dann muss der, wenn schon nicht Fortschrittsgläubige, dann
wenigstens Fortbewegungsgläubige in die Waschmaschine. Zwecks ritueller
Reinigung. Beziehungsweise muss er eigentlich durch ein Säulenportal
aus rotierenden Rundbürsten einer Waschstraße. Entäuschenderweise
bürsten einen die herumwirbelnden Borsten, die nach einem lechzen, nur
symbolisch ab, kitzeln bloß. Und drin in den heiligen Hallen:
phantastische Verkehrsmittel, fast wie vom halsbrecherisch
herumspionierenden Liebhaber 007, nur ein bissl realitätsnäher,
gebastelt im Banne der "Hobby"-Heftln, dieser technooptimistischen
Magazine, die ja ebenfalls bewiesen haben, dass es für jede Form der
Ortsveränderung eine ganz logische Erklärung gibt.
Selbst für den "Fliegenden Teppich" (der die Ausnahme von der Regel
ist, dass die Bodenbeläge Flugangst haben, ergo: dass sie sich nicht
freiwillig erheben): Moises, der weniger ein Astronaut als ein Geonaut
ist (er fliegt nicht zum Mond, sondern zur Erde – vom Erdboden aus),
hat dieses orientalische Flugwunder reproduziert. Mit heimwerkerischer
Brachialgewalt. Ein Triumph der unübersehbaren Technik, die noch
urtümlich und handfest ist, soll heißen: Teppichnavigator Moises
versucht den Mechanismus gar nicht erst zu vertuschen wie die
herkömmlichen fliegenden Fußbodenschoner.
Ein desillusionierender Laubbläser mit Ansaug- und Blasrohr sorgt
unterm Teppich für einen Polster aus Luft. Na ja, ein
Kurzstreckenteppich, mit dem man vielleicht ins Nebenzimmer fahren
kann. Aber er verglüht wenigstens nicht beim Wiedereintritt in die
Wohnzimmeratmosphäre. Und derzeit schaut er aus wie ein Teppich, der
einen Platten hat und auf offener Strecke liegengeblieben ist.
Das Gleiche gilt für sein "Hoverdrom", ein Wagerl aus dem lustigen
Massenanarchie-Spiel "Crash-Test mit anschließender Fahrerflucht",
demnach ein normales Autodromwagerl. Das hat er auch in ein
Luftkissenfahrzeug umgewandelt. Für die heimelige, bodennahe Raumfahrt,
die Innenraumfahrt. Quasi ein Indoor Space Shuttle. Die mit lustvoll
ironischem, rabiatem Improvisationstalent erzwungenen ungraziösen
Kreationen verströmen nicht nur den archaischen Charme wahrer,
wuchtiger Primitivität, sie sind auf ihre ungeschminkte, direkte Art
auch sehr poetisch. Mich hat schon die Vorstellung von ihrer
entbehrungsreichen Inbetriebnahme amüsiert.
Galerie Chobot: Aus der Zeit ausgetreten
Nein, es sind keine Madonnen, die Walter Moroder da geschnitzt hat.
Aus den lebensgroßen mageren Körpern mit den dezent weiblichen Formen
dampft kein Weihrauch. Trotzdem verbreiten sie geradezu die Aura einer
"inneren Himmelfahrt", sind weltentrückt und zugleich immens präsent.
Als hätten sie ihre Uhren abgenommen, die Schuhe ausgezogen und wären
aus der Zeit ausgetreten (wie andere aus einer Partei oder einer andern
Religion).
Und jetzt stehen diese völlig unhektischen, stelenhaften
Holzskulpturen mit ihren hautengen Kleidern und den streng wie geputzte
Schuhe nebeneinander gestellten bloßen Füßen in der Galerie Chobot
herum (Domgasse 6, bis7. Mai) und schlagen den Betrachter in ihren
Bann: mit ihrer sinnlich lebendigen Oberfläche und der subtilen,
delikaten farbigen Fassung, mit ihren fernen und gleichzeitig
anwesenden Gesichtern und den Händen, die seelenvolle Gesten machen —
und weil der Moroder einfach ein brillanter Bildhauer ist und hier sein
Holz "zwischenlagert" zwischen Porträthaftigkeit und
Allgemeinmenschlichkeit.
Freitag, 29. April 2005