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Acht für Arkadien


Acht achteckige Pavillons hat die Amerikanerin Renée Green in den Karlsauen plaziert und wählte damit eine architektonische Form, die - kompakt und mehrseitig - Schutz und Ausblick bietet. Wer im obligatorischen Regen der Eröffnungstage hier Unterstand fand, konnte den Blick nach außen in die Parkanlage werfen und sah sich zugleich im Inneren mit einer Vielzahl ganz anderer Vorstellungswelten konfrontiert. Mit Video- und Tonaufnahmen entfaltet Renée Green hier ein Spektrum von Wunschprojektionen: Sie bündelt die Blickachsen ebenso wie die Funktionen des Gartens, sei er auf politische Repräsentation hin angelegt, auf Freizeitgestaltung oder gesellschaftliche Utopien. Green erzählt dabei von der nahezu obsessiven Liebhaberei, die im 19. Jahrhundert der Hobbyarchitekt und Sexualpädagoge Orson Fowler für das Oktagon, als "Heim für Alle", entwickelte. Sie verfolgt die Konzeption von Gartenanlagen, die gerade nach Zeiten politischer Unruhen beispielhafte Orte der Ordnung, Zivilisation und Befreiung von der Last des Alltagslebens sein sollten. Sie verweist auf die modernistischen Entwürfe von Gartenpavillons, die aus der architektonischen Verbindung mit der Natur Impulse für eine neue Form gesellschaftlichen Zusammenlebens geben wollten. Und sie läßt den Betrachter in Regionen Asiens reisen, die im Westen traditionell mit dem irdischen Paradies verbunden werden.

Es sind unterschiedliche Systeme, die Green einander überlagern läßt: Systeme des Wissens, der Wahrnehmung, des Handelns. Konkrete Erfahrung und imaginierte Zusammenhänge stehen in stetem Wechselspiel. In Kassel gehört sie zu den wenigen, die in diesem Jahr den Außenraum für ihre Arbeit ausgewählt haben und erinnert damit auch an die Documenta 6 von 1977. Sie zeichnete sich dadurch aus, daß sie bislang die größte Anzahl an Außenarbeiten aufwies. Der Prozeß der Betrachtung wurde damals mit Nachdruck zum integrierten Bestandteil des Kunstwerks erklärt. Greens Antwort darauf kehrt diese Bedingungen partiell um, indem man sich zwar zu ihren Pavillons bewegen muß, in ihnen jedoch Situationen der Ruhe vorfindet, die die Rezeption der unterschiedlichen Systeme im Sitzen erlauben.

Darüber hinaus aber eröffnete die Vielzahl der Außenarbeiten auf der Documenta 6 noch eine weitere Perspektive: Pointiert hob sie sich von der schon fast mythisierten Documenta 5 ab. Ihr Kurator Harald Szeemann hatte fünf Jahre zuvor mit einem Schwerpunkt auf "individuellen Mythologien" weniger die Öffnung der Kunst in institutionsferne Bereiche betrieben, sondern geschlossene, sehr persönliche und hermetische Bedeutungsräume favorisiert. Auch von der jetzigen Documentaleitung wurde die d5 als wichtige Referenz und als Vorbild herangezogen. Zwischen diesen beiden historischen Modellen schaffen Greens Pavillons - als eigenständige kleine Architekturen, die dennoch eine Verbindung zum Außenraum herstellen - eine Brücke. Betrachtet man die große Diskrepanz zwischen den geschlossenen Einzelräumen in der Binding-Brauerei einerseits und den auf Vernetzung angelegten architektonischen Entwürfen in der Kulturbrauerei andererseits, so scheint sich diese Brücke auch als eine taugliche Metapher für die Konzeption der Documenta 11 insgesamt anzubieten.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.06.2002, Nr. 23 / Seite 25

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