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Festwochen: Der Mensch als Beute und Präparat

19.05.2010 | 18:55 | BARBARA PETSCH (Die Presse)

Brett Bailey erkundet im Völkerkunde-Museum deutsche Kolonialgeschichte.

Sesselkreis in der Eingangshalle des Museums für Völkerkunde. Auch sonst geht es bei der Performance des mehrfach zu den Festwochen geladenen Südafrikaners Brett Bailey anfangs kindlich zu: Schwarze Kids nehmen die Besucher bei der Hand und führen sie in den oberen Stock des Museums.

Die später Gewählten sitzen ziemlich lang vor einer barbusigen Frau, die sich wie eine Statue dreht – dazu erklingt „Ave Maria“. Die kleine Hand, die den schon leicht gelangweilten Zuschauer schließlich von seinem Sessel lockt, rührt und entsetzt: Man denkt an Fotos von Hungernden und strahlenden Hollywood-Stars auf der Durchreise. Oben öffnet sich eine Tür ins Halbdunkel. Man sieht: Menschen in Vitrinen, ausgestopfte Antilopen und andere Tiere, eine Wasserflasche, ein Gewehr.

Die Information zu „ExhibitA: Deutsch-Südwestafrika“ ist einem Folder zu entnehmen: 1884 wurde Afrika unter den europäischen Großmächten aufgeteilt. Die Deutschen setzten sich in Südwestafrika (heute Namibia) fest und verfolgten brutal die dortigen Völker der Herero und Nama. 1904 erhoben sich die Herero. Deutsche Truppen schlugen den Aufstand nieder und trieben die Afrikaner in die Wüste. Männer, Frauen, Kinder wurden gejagt, erschossen, Quellen vergiftet, Zehntausende verdursteten.

 

Totenschädel für Sammler

Weitere Hunderttausende starben nach dem I.Weltkrieg in Konzentrationslagern, wurden vergewaltigt, gefoltert. Die Vernichtung der Herero und Nama ist heute als erster Genozid des 20.Jh.s anerkannt.

Kuriositäten- und Exoten-Schauen, das liebten die Menschen des 19.Jh.s Die Neugier auf die Ferne hatte einen tief düsteren Hintergrund: In Museen sammelten sich Beutestücke, Raubkunst der Kolonialisten, die Europäer fühlten sich den „Wilden“ überlegen. In der Performance lebt auch das 1848 zerstörte „Präparat“ Angelo Solimans, berühmter Höfling aus Afrika in Wien, wieder auf, in weißer Kleidung, leise hebt und senkt sich der Bauch. Unheimlich.

Auch bei den Menschen in den Vitrinen wartet man gebannt auf eine Bewegung der Augen. In weiteren Räumen schlägt Bailey einen Bogen zu heute in Wien lebenden Asylwerbern aus Afrika und zu dem bei der Abschiebung durch ein Klebeband erstickten M. Omofuma – Symbol einer herzlosen westlichen Welt. Die meisten der lebenden „Objets trouvés“ sind Christen. Rund 45 Minuten dauert der eindrucksvolle Rundgang.

Bis heute lagern in Museen Schädel, die Häftlinge aus ihren toten Mitgefangenen für den europäischen Markt präparieren mussten. Deutschland hat jüngst 50 davon zurückgegeben. „Ich sehe die Konfrontation mit der Vergangenheit als heilende Erfahrung“, meint eine schwarze Fremdenführerin tapfer. Wer das kann?


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