Salzburger Nachrichten am 8. Februar 2006 - Bereich: Kultur
Ein Feuerwerk an Farben Paris würdigt Pierre
Bonnard. Die Modernität seiner vom Impressionismus beeinflussten Malerei
war nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich.
RUDOLF BALMERPARIS (SN). Wer Paris und zeitgenössische Kunst sagt,
denkt ans Centre Pompidou mit seinen farbigen Röhren und den Rolltreppen
in der Hauptfassade. Weniger bekannt ist das Musée de l'Art Moderne de la
Ville de Paris. Es teilt sich mit dem Palais Tokyo, das der
experimentellen Gegenwartskunst gewidmet ist, einen klobigen
neoklassizistischen Bau aus den 30er Jahren vis-à-vis vom Eiffelturm, der
jetzt nach einer zweijährigen Renovierung und der dringenden
Asbestentsorgung seine Tore wieder für das Publikum öffnet. Das "andere" Museum der Moderne, das seinen Platz neben dem Centre
Pompidou noch behaupten muss, macht den Auftakt mit einem Feuerwerk an
Farben. Sein ganzes Künstlerleben lang arbeitete Pierre Bonnard bis zur
Obsession an seiner äußerst reichen Farbpalette: "Auf einem einzigen Bild
(von Bonnard) können Sie das ganze Farbspektrum entdecken. Auf 10
Quadratzentimetern findet man bei genauer Betrachtung keinen gleichen
Farbton zwei Mal, alles ist bis ins Kleinste überarbeitet", erklärt
Jacqueline Munck. Sie hat diese Ausstellung konzipiert, die mit 90
Gemälden, zahlreichen Zeichnungen und Fotos die umfassendste
Bonnard-Retrospektive seit seinem Tod ist. Kein Maler für Leute, die es eilig haben "Bonnard ist kein Maler für
Leute, die es eilig haben. Sein Schaffen erschließt sich nur langsam. Sein
wahres Sujet sind die Farben, die er auf den Bildern zusammenfügt. Die
Kompositionen sind komplex, manchmal extravagant, mit kleinen Lügen im
Dienst einer großen Wahrheit", schickt Museumsdirektorin Suzanne Pagé der
Vernissage voraus. Tatsächlich lässt eine oberflächliche, schnelle Betrachtung den
Besucher perplex und unbefriedigt zurück. Seine Kühnheit liegt im Detail, manche Gemälde irritieren mit ihrer
Farbkomposition. Bezeichnenderweise lautet der Titel dieser Ausstellung,
die nicht chronologisch, sondern nach Themen gegliedert ist,
"L'œuvre d'art, un arrêt du temps" (Das Kunstwerk, ein Stillstand
der Zeit). Die Zeit und die Geschichte gingen an Bonnards Malerei spurlos
vorüber. Wie die Stillleben, die Intérieurs, die Gärten und Landschaften
sind selbst seine Aktgemälde zeitlos. Die Jahre können auch seinem Modell nichts anhaben. Bis zu ihrem Tod
mit 70 malte Bonnard seine Gattin Marthe wie als junges Mädchen. In den
stets aufs Neue abgehandelten Badezimmerszenen wird dieser Frauenkörper zu
einem Kompositionselement, das im Bild aufgeht und zusehends die
Gesichtszüge verliert und an den Rand der Abstraktion führt. "Ich versuche nur, etwas Persönliches zu machen" 1903 nahm Bonnard an
der Ausstellung der Wiener Secession teil. Er hielt sich aber stets auf
Distanz zu den Zirkeln der selbsternannten Avantgardisten: "Ich gehöre
keiner Schule an, ich versuche bloß, etwas Persönliches zu machen." Viele
Zeitgenossen sahen in dieser intimen Malerei nur die vordergründige
Kleinbürgeridylle der dargestellten häuslichen Szenen. Picassos
vorschnelles und ungerechtes Urteil über den Stil, der ihn zu sehr an die
Impressionisten erinnerte, blieb lange an Bonnard haften: "Das ist
wirklich kein moderner Maler. Er folgt bloß der Natur; er geht nicht über
sie hinaus." Pierre Bonnards Werk blieb lange Zeit unverstanden und umstritten. Er
selbst war bescheiden. Seinen einzigen Ehrgeiz formulierte er in einem
Satz, den der Besucher am Ende der eindrucksvollen Pariser Retrospektive
mit auf den Weg bekommt: "Ich hoffe, dass meine Malerei ohne Risse Bestand
haben wird. Ich möchte mit Schmetterlingsflügeln vor den Jungen des Jahres
2000 erscheinen."Pierre Bonnard, bis 7. Mai im Musée d'Art Moderne de la
Ville de Paris, 11 Avenue du Président Wilson, www.mam.paris.fr |