Salzburger Nachrichten am 29. September 2005 - Bereich: kultur
Auch Arme wollen Kultur

"Hunger auf Kunst und Kultur" in Wien erweitert - 8000 haben den Kulturpass

WIEN (SN-mo). Die Schere zwischen reich und arm geht immer weiter auseinander. Das war in jüngster Zeit schon öfter Thema in dieser Zeitung. Auch Kunst und Kultur können sich nicht länger der Tatsache verschließen, dass große Teile ihrer "Kunden", der so genannten Mittelschicht, vom sozialen Abstieg bedroht sind. Und nicht wenige, die an den Angeboten der Kulturszene interessiert wären, können sich diese nicht leisten, weil sie einfach das Geld dafür nicht haben.

In Wien hat sich 2003 auf Anregung des Schauspielhauses und der "Armutskonferenz" eine Initiative mit dem Namen "Hunger auf Kunst und Kultur" zusammengefunden. Die damals acht Mitglieder der Initiative gaben einen "Kulturpass" heraus, mit dem sozial Bedürftige kostenlos in Theater, Oper oder Museum gehen können. Über ihr Netzwerk von Sozialorganisationen, Selbsthilfegruppen und Integrationsgruppen sorgte die Armutskonferenz dafür, dass das Angebot des "Kulturpasses" bei den Bedürftigen bekannt wird. Zielgruppe sind Menschen, die Sozialhilfe oder Mindestpension beziehen, Arbeitslose und Flüchtlinge.

In einem Pressegespräch stellten die Verantwortlichen für "Hunger auf Kunst und Kultur" am Mittwoch in Wien das Ergebnis der ersten Phase des "Kulturpasses" vor und präsentierten das Angebot für die Jahre 2006/2007. Der "Kulturpass" gilt immer für zwei Jahre.

Jetzt nehmen schon 24 Einrichtungen teil Bisher haben sich 8000 Menschen in Wien einen Kulturpass besorgt, berichtete Airan Berg, der Intendant des Schauspielhauses Wien. Bald könnten es wesentlich mehr werden, denn der Kreis der Partner von "Hunger auf Kultur" hat sich beträchtlich erweitert: 16 Theater, Museen und andere Veranstalter haben sich dazugesellt. Neu dabei sind das Volkstheater und das Volkstheater in den Bezirken, die Jeunesse, das MUMOK und das MAK, Vienna's English Theatre, der Jazzclub "Porgy & Bess", das Tanzquartier, das Klangforum und auch das Donau Festival in Niederösterreich. Die beteiligten Einrichtungen geben die Karten nicht "gratis" her, sondern finanzieren deren Preis über Spendeneinnahmen oder Sponsoren. "Für eine Spende von 20 Euro können schon zwei Menschen ins Theater gehen", beschrieb Airan Berg die Wirksamkeit eines Beitrages.

Martin Schenk von der Armutskonferenz nannte noch ein paar Zahlen, die nachdenklich machen: In Österreich leben 460.000 Menschen in Armut; ein Viertel davon sind Kinder. In Wien sind 150.000 Menschen, 9,3 Prozent der Wohnbevölkerung, von dieser Not betroffen. Tendenz: steigend.

Die Wiener Aktion hat bereits Nachahmer gefunden: In Zürich wurde "Hunger auf Kunst und Kultur" 2004 aufgegriffen, 2005 folgte Berlin. Auch Salzburg zeigt Interesse. Heute, Donnerstag, führt Airan Berg dort Gespräche in der Sache.