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06.10.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung
Kritik Ausstellung: Entschlossene Unentschlossenheit
VON ALMUTH SPIEGLER
Eine subtil romantische Seite in Valie Exports Werk macht eine selten intelligente Ausstellung im Atelier Augarten sichtbar.

Sie führte den auf allen Vieren kriechen den Peter Weibel an der Hundeleine durch die Wiener Kärntner Straße, ließ ihren nackten Oberkörper beim "Tapp- und Tastkino" von Passanten betatschen, ging mit geschultertem Maschinengewehr ins Pornokino - so kennt man die 1940 in Linz geborene Waltraud Lehner, besser bekannt unter ihrem von einer "typisch männlichen" Zigarettenmarke inspirierten Künstlernamen Valie Export. Doch nichts von all dem, nichts von ihren schon zum Klischee abgenutzten feministisch-tabubrechenden Arbeiten der späten 60er Jahre, keine Körper-Aktionen, keine Provokationen finden sich in der aktuellen Export-Ausstellung im "Atelier Augarten", der Dependance für zeitgenössische Kunst der Österreichischen Galerie Belvedere.

Hier hat Thomas Trummer eine angenehm abseitige Seite im Werk der wichtigsten österreichischen Konzept-Künstlerin ausgeforscht und nachvollziehbar gemacht: Aus der ursprünglichen Absicht, die Methode des Seriellen in Exports Werk herauszuarbeiten, wurde eine stille, intelligente Schau über den analysierenden Blick der Künstlerin auf Landschaft und Raum. Rund 90 Exponate, vorwiegend aus den frühen 70er Jahren sind zu sehen - Zeichnungen, zwei Installationen und Fotografie.

Typisch für Letztere ist das gesplittete, gespaltene Bild, das unserer Wahrnehmung eines Gegenstands folgt: So tastet sich Export, die Kamera auf Augen- oder auch Nabelhöhe, etwa eine Leiter hinauf, Stück für Stück, Foto für Foto. Das Ergebnis sind vier einzelne Bilder, die sich, übereinander montiert, zwar eindeutig zu einer Leiter zusammenfügen, uns aber den einfachen Weg, die Vorgabe des ultimativen, einzigen Blickwinkels verweigern.

Ähnlich funktioniert diese Zerstückelungs-Strategie beim Flakturm, in dem das Haus des Meeres untergebracht ist, bei einem Zug, einer Straßenansicht in Frankreich, einem Stiegenhaus in der Grünangergasse. Im selben Altbau hat Export sich 1971 auch bildlich gesprochen die Fassade hinuntergestürzt: Von den drei Geschoßen des Gebäudes aus fotografierte sie jeweils den darunterliegenden Balkon, was eine verzerrte, nur zu erahnende Tiefe ergibt - intellektuelles Pawlatschen-Hopping sozusagen.

Die Verfremdungen wie Unschärfe und Zersplitterung sollen uns nachdenken lassen, uns skeptisch machen der eigenen wie der durch die Medien geprägten Wahrnehmung gegenüber. Durch das Serielle ist jedes Bild ein Kommentar, eine Kritik, eine Hinterfragung des vorhergehenden. Der Betrachter wird gefordert, muss Vergleiche ziehen und Ruhe finden, serviert wird hier nichts. "Konzeptuelle Fotografie" nennt Export diesen Werkblock, bei dem sie einer Vorgehensweise namens "Triangel" folgte: Erst entdeckt sie einen Gegenstand, dann beobachtet sie ihn - und zuletzt stellt sie ihn dar.

In scheinbar langweiliger Wiederholung fotografierte Export 30 Mal ein paar Grasbüscheln in einer Dünenlandschaft. Man sucht wie gewohnt den Fehler - es gibt keinen. Fast glaubt man an Kopien, doch dann lieber der Künstlerin, die für diese Shots auf eine Zeit der völligen Windstille gewartet hat. Diese Zeit scheint stillgestanden zu sein, die einzelnen Bilder wirken wie Filmkader - was daran erinnert, dass Export in den 60er Jahren einmal als Cutterin gearbeitet hat. Voller Action dagegen ist die "Feuerwelle, die aus dem Meer kommt", die dokumentarische Foto-Serie einer Aktion, in der Export am Strand eine Rinne mit Benzin füllte und anzündete.

Eine wohl ungewollte romantische Ader ist auch bei Exports Schwarzweiß-Aufnahmen von einsamen Waldwegen zu entdecken, die völlig nüchtern die Fotografie als "Zeichenstift der Natur" zeigen sollen, sowie bei Exports Wellen-Studien, die sie bis ins Heute verfolgen. Das "Ephemere", das Flüchtige interessiert sie bei diesen Beobachtungen, das Gleiche fasziniert sie am Licht und an der Elektrizität, wie eine raumfüllende Installation zeigt: 18 Niedervolt-Glühbirnen hängen von einem Gerüst und werden mechanisch-monoton immer wieder in mit Wasser und Öl gefüllte Gefäße getaucht. Das Licht erforscht den - leider zu hellen - Raum, unser Blick folgt ihm dabei.

Auch in den Zeichnungen ist das Thema Raum präsent: Da wird auf Millimeterpapier geschrieben, mit aufgeklebten Schnüren experimentiert. Im Mittelpunkt aber steht hier die Identität. Und auch diese kann bei Export keine allein gültige sein. Die Dualität - Mann/Frau, oben/unten, links/rechts - ist das Wesentliche. Obwohl im "Atelier Augarten" die plakativ feministische Seite von Exports Werk bewusst ausgelassen wurde, ist es genau diese Leidenschaft für das Ausgewogene, diese entschlossene Unentschlossenheit, dieses Nicht-bestehen-Wollen auf etwas einzig Richtigem, was subtil auf einen spezifisch weiblichen Blick hinweist, den man in dieser Ausstellung zu genießen lernt.

Scherzergasse 1a, Wien 2, bis 20. Februar, Di. bis So. 10-18 Uhr.

INTERNET 

http://www.atelier-augarten.at/


 

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