03.02.2003 11:30
Kunstwollen einer Aufsichtsperson
Mit Walter Niedermayer zeigt die Kunsthalle Wien die Personale eines
erhabenen Chronisten - Mit Ansichtssache
Aus der Distanz zeigt Niedermayer, dass etwa Bozen - ob
es darf oder nicht - längst Squaw Valley geworden ist. Und Squaw Valley Ischgl,
das wiederum St. Moritz aufs Haar gleicht.
Wien - Der Gletscherschwund.
Die Landschaftspflege. Das Bild. Die neuen Sportarten. Aber auch Vorräume,
Betriebskantinen und andere geschlossene Veranstaltungsorte. Walter Niedermayer
sieht sich das an.
Getrieben von unbestimmten Sehnsüchten, neigen die
Menschen dazu, bestimmte Landschaften aufzusuchen. In unserer näheren Umgebung
sind davon vor allem alpine Landschaften betroffen. Angezogen vom Unberührten,
lassen die Menschen dort ihrem Gestaltungswillen - in aller gebotenen Ohnmacht
(Freizeit) - freien Lauf.
So ein Snowboarder prägt die Kulturlandschaft
nachhaltiger als Generationen von hoch subventionierten Bergbauern. Immerhin
aber hat er Spaß bei der Verrichtung seiner Tätigkeit. Braucht aber, wie man das
schon von den Skifahrern her kennt, ein Obdach, weil er ja, wolferlhörig, morgen
auch noch dableibt.
So kam es zu schwindelerregenden Bauten in
verschärfter Höhenlage. So kam es zu Trassen und Schneisen, die zu bewältigen
wiederum ein Leitsystem eingeführt werden musste, auf dass die Opferzahl des
kollektiven Entspannungsverhaltens nicht derart drastisch emporschnellt, dass
man deshalb auch noch Unfallkrankenhäuser auf den Gipfeln unterbringen
muss.
So jedenfalls kamen die gipsweißen Wallfahrtsorte zu ihrem Gesicht.
So bekamen die Berge endlich einen Wiedererkennungswert von einer Höhe, die auch
den individualitätsorientierten Massentouristen sicher in den Genuss kollektiv
empfundener Waldeinsamkeit führt. Walter Niedermayer schaut sich das an. Der
europäische Mensch hat ein Problem: Aufgerieben zwischen seiner Verantwortung
für das Weltkulturerbe und den Vorzügen des Individualverkehrs, vermag er die
Autobahn nicht so recht ins Zentrum seiner urbanen Überlegungen zu
rücken.
Also knüpft er an zentral-peripheren Orten verschämte
Straßenknoten. Nahe genug, nicht öffentlich verkehren zu müssen, abseitig genug,
die Chance auf die Würde, Europas schönstes Blumendorf zu sein, nicht zu
vermasseln. Groß genug, den Fluss, den die Wirtschaft braucht und also auch er,
aufrechtzuerhalten. Und so baut sich der europäische Mensch Wüsten hart an die
Grenze zum Vorgarten und bringt im selben Aufwaschen seine Psychohygiene
vermittels fachgerechten Rückbaus eines historisch wertvollen Pissoirs wieder in
Ordnung. Walter Niedermayer schaut sich das an.
Fremde
Hallenwedler
Asoziale verwahrt nicht nur der europäische Mensch in
Hochsicherheitstrakten mit tadellosen Haltungsbedingungen. Walter Niedermayer
schaut sich das an. Genauso, wie er vor dem japanischen Menschen beim
Indoor-Skifahren auf Distanz geht oder vor artgerecht naturnah gehaltenen Gämsen
oder vor Grünpflanzen, die so nur in Wartezimmern gedeihen. Oder vor sonstigen
Zivilen Operationen.
Und dann schaut er gleich noch einmal. Weil
ihn die Bewegung interessiert, der Augenblick, in dem die schleichende
Veränderung stattfindet, das Motiv nur mehr annähernd das gleiche ist - sich
selbst relativiert. Und das Motiv des Walter Niedermayer ist immer das große
Ganze. Nicht dass er sich grundsätzlich nicht einlassen würde, aber um
Gleichwertigkeit zu garantieren, bedarf es nun einmal der Distanz. Oder:
Anteilnahme - und damit kleinmütiges Wohlwollen oder Ablehnen - ist keine
Kategorie oberer Urheber.
Und so sind die Bilder, die anfallen, wenn
Walter Niedermayer sich all das anschaut, auch recht übernatürlich. Sie strahlen
aus, sind so lichtdurchdrungen, dass sich der Eindruck vom Weltganzen in der
einzig wahrhaftigen Form ergibt: flüchtig. Bisweilen fertigt Walter Niedermayer
auch Videos an: Endlosschlaufen. Und da sieht man dann, wie irgendwo ein Auto
fährt, von dessen Ladefläche aus das bronzene Abbild eines Hirschen unbeirrt in
die Landschaft starrt. Und im Video nebenan, wie ein Köter im Stauraum des
fahrenden Pick-ups seinem Schwanz nachläuft. Dann ist es schon ziemlich
mühselig, die Sehnsucht aufrechtzuerhalten, die zu stillen meist der einzige
Antrieb ist, einen Tag zu beginnen. (DER STANDARD, Printausgabe, 31.1.2003)