Artikel aus profil Nr. 13/2002
Aufgeschrägt

Am 18. April eröffnet Christoph Thun-Hohenstein Raimund Abrahams Austrian Cultural Forum in New York: Der Jurist leitet Österreichs ehrgeizigste Kulturaußenstelle.
Noch sitzt er als Gast in einem improvisierten Büro im österreichischen Konsulat, aber in weniger als drei Wochen wird Christoph Thun-Hohenstein Hausherr einer der meistbestaunten Adressen New Yorks sein: des nach zehnjähriger Planungs- und Bauzeit am 18. April zu eröffnenden Austrian Cultural Forum in der 11 East 52nd Street in Midtown Manhattan. Das von Architekt Raimund Abraham geplante 24-Stockwerke-Gebäude wird Österreichs schönste, größte und bestdotierte Auslandskulturbastion sein.

Thun-Hohenstein, 42, 1,97 Meter groß, hat warten gelernt, und es hat sich gelohnt. Der in Wolfsberg in Kärnten geborene, sich aber auf eine alttiroler Adelsfamilie mit Stammschloss im Nonstal nahe Trient berufende Musik-, Kunst- und Literaturbegeisterte hatte in früher Jugend den Wunsch, Dichter zu werden. Sein Vater riet zu Realistischerem. Er fügte sich, studierte Jus, machte aber seinen zweiten Doktor in Politologie mit Rigorosumsfach Kunstgeschichte und den Schwerpunktinteressen Barockarchitektur und italienische Renaissancemalerei. Dann trat er in den diplomatischen Dienst, mit dem von Anfang an erklärten Ziel, „irgendwann einmal“ in der Kultur tätig zu sein.

Zunächst deutete nichts darauf hin, dass ihm das gelingen würde. Nach einem halben Jahr als Lehrling an der österreichischen Botschaft der Elfenbeinküste in Abidjan und einem Jahr Gesellentätigkeit im Völkerrechtsbüro des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten wurde er auf vier Jahre der Vertretung Österreichs bei den Vereinten Nationen in Genf zugeteilt und dann an die Botschaft in Bonn geschickt.

In diese Zeit fielen Österreichs Verhandlungen um den Beitritt zur EU, und Thun-Hohenstein wurde der „erste bilateral eingesetzte Spezialrat für europäische Integration“. Der Eifer, mit dem er über die damals stattfindenden Maastricht-Verhandlungen prompt und intensiv nach Wien berichtete, brachte es mit sich, dass er, wie er heute selbstbewusst feststellt, „relativ rasch nach Wien zurückmusste, um Rechtsberater für die Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der Europäischen Union zu werden“. In dieser „ungemein spannenden Zeit“ als Leiter einer neu geschaffenen Abteilung für Europarecht blieben die künstlerischen Ambitionen des Rechtsexperten der Freizeit vorbehalten. Anstatt seine belletristischen Ambitionen zu pflegen, übte er „das Talent, gut formulieren zu können“, das er sich selbst bescheinigt, an juristischen Texten, u. a. als Mitverfasser eines Standardwerks über Europarecht unter besonderer Berücksichtigung Österreichs. Kompensation suchte er in der Musik. Eine inzwischen auf 5000 Platten und CDs angewachsene Sammlung reicht vom klassischen Lied bis zum Remix und zeugt von nachgerade manischem Enzyklopädismus.

Kulturmaschine

Als 1998 nach endlosen Querelen der Neubau des österreichischen Kulturinstituts in New York gesichert war und der damalige Direktor Wolfgang Waldner als Leiter des Wiener Museumsquartiers vorgesehen war, sah Thun-Hohenstein seine Stunde gekommen. Er bewarb sich, bekam den Job und ist seit September 1999 Direktor des inzwischen in Austrian Cultural Forum umbenannten Instituts: zunächst im Ausweichquartier in der 57. Straße, dann, als der Mietvertrag dort ausgelaufen, der Neubau aber immer noch nicht fertig war, als Untermieter im österreichischen Konsulat.

Mit der neuen „Kulturmaschine“ (Wolfgang Waldner) übernimmt der Alt-adelige Thun-Hohenstein eine Institution, die sich von Anfang an von den meisten übrigen, betulich vor sich hin arbeitenden österreichischen Auslandskulturinstituten unterschied.

Die besondere Rolle des 1963 in der 52. Straße eröffneten Kulturinstituts in New York, das seinen ursprünglichen Namen Austrian Institute von einer 1942 gegründeten Vereinigung von Emigranten und Österreich-Freunden übernommen hatte, hing mit der Stadt New York und mit Amerika zusammen. Der Kontakt mit den emigrierten Künstlern, Wissenschaftlern und Intellektuellen, deren Rückholung nach Österreich die Nachkriegspolitik geflissentlich vermied, wurde nach New York ausgelagert. In den siebziger Jahren initiierte und finanzierte die Kreisky-Regierung einen Österreich-Lehrstuhl und ein Center for Austrian Studies an amerikanischen Universitäten, die vom New Yorker Institut betreut wurden. Und in den achtziger Jahren erklärte ein „USA-Konzept“ die Kulturarbeit in den USA zu einem Schwerpunkt österreichischer Auslandskulturpolitik. Damals entstand, unter Peter Marboe und später Wolfgang Waldner, das Projekt „Arts Dialogue“, mit dem vergessene oder in Österreich angefeindete Kunst in Amerika unterstützt wurde. Die Friedrich-Kiesler-Ausstellung im Whitney-Museum, Dokumentationen des Wiener Aktionismus oder die jüngste Valie-Ex-port-Schau wurden vom österreichischen Kulturinstitut initiiert oder gefördert.

Marboe forderte auch eine räumliche Erweiterung des Instituts und dachte als Erster einen Neubau auf dem der Republik Österreich gehörenden Areal an, der unter Waldner und Außenminister Alois Mock 1992 zu einem Wettbewerb mit 226 Teilnehmern und Raimund Abraham als Sieger führte.

Thun-Hohenstein weiß, dass das außergewöhnliche Echo, auf das Raimund Abrahams Siegerprojekt von Anfang an vor allem in den New Yorker Medien stieß, auch das Eröffnungsprogramm auf den Prüfstand stellt. Der als Nachfolger des mediengewandten, kontaktfreudigen Wolfgang Waldner anfangs pfadfindermäßig pflichtbeflissen wirkende Diplomat wurde von Vorauskritik nicht verschont. Architekt Abraham warf ihm vor, dass er mit der Dienstwohnung für seine fünfköpfige Familie wertvollen Raum im Institutsturm blockiere. Andere forderten eine vom Außenamt unabhängige künstlerische Leitung des Hauses.

Thun-Hohenstein reagierte selbstbewusst. Er verkündete schon früh, dass von ihm kein konventionelles Programm zu erwarten sei, wusste aber gleichzeitig, dass er dafür unangreifbare, unabhängig agierende Kuratoren brauchte. Zwei Jahre lang suchte er das Gespräch mit Kulturschaffenden, dann verkündete der „leidenschaftliche Generalist“ (Selbstdefinition) das Eröffnungsthema: „Transforming Modernity“, ein mehrmonatiges Festival, das – kurz gesagt – die Rolle der Künste angesichts von Globalisierung und Elektronisierung am Beginn eines neuen Jahrhunderts zur Diskussion stellt.

Tradition als Gedächtnis

In der Realität sieht das so aus: Die Eröffnung wird in allen öffentlichen Räumen des Gebäudes mit einem Konzertmarathon des Klangforums Wien, des führenden Ensembles für zeitgenössische Musik in Europa, gefeiert. Die Galerie im Untergeschoß eröffnet mit einer vom Cultural Forum in Auftrag gegebenen Installation der in New York arbeitenden österreichischen New-Media-Gruppe Granular Synthesis. Ein internationales Symposium lässt Künstler und Medienexperten die Frage erörtern, wie sehr die elektronische Kultur Leben und Gewohnheiten einer neuen Generation beeinflusst. Und eine Architekturausstellung im Mai zeigt nicht die bekannten österreichischen Stars wie Hollein oder Coop Himmelb(l)au, sondern Jabornigg & Pálffy, Henke und Schreieck und Riegler-Riewe, drei jüngere, in Amerika so gut wie unbekannte Teams, die Architektur als Beitrag zu Lebensqualität begreifen. Die Selbstdarstellung nationaler kultureller Leistungen, die die Institution Kulturinstitut als typische Erfindung des 20. Jahrhunderts kennzeichnete, hält der Forumsdirektor für passé. Österreichische Kultur soll im Dialog mit amerikanischer stattfinden. Beispiel: die viel beachtete Dokumentation der Filmemacherin Martina Kudlacek über die amerikanische Avantgardefilmerin Maya Deren, die im Juni beim Filmschwerpunkt VISIONary gezeigt wird. Tradition definiert Thun-Hohenstein als „Memory“, als Gedächtnis, aus dem die Künstler Neues schaffen. Insofern ist für ihn das Phänomen Remix in der Musik etwas sehr Wichtiges.

Für das bis Sommer laufende Eröffnungsprogramm kann der Leiter 230.000 Euro aus seinem Jahresbudget abzweigen. Dazu kommen rund 150.000 Euro Sonderbudget des Außenministeriums und projektbezogene Zuschüsse vom Bundeskanzleramt, dem Bildungsministerium und der Stadt Wien. Später wird das Haus mit dem Jahresprogrammbudget von 460.000 Euro auskommen müssen, weswegen aber nicht die Qualitätsebene gesenkt werden soll: „Da werden eben dann bei einem Konzert nicht mehr vierzig Musiker, sondern nur fünf auftreten.“ Mit einem konsequent innovativen Programm hofft Thun-Hohenstein auch auf Sponsoren aus der Wirtschaft, „die ja auch Österreich als zukunftsorientiertes Land zeigen will“.

Und die momentan ja nicht gerade experimentierfreudige österreichische Kulturpolitik? Thun-Hohenstein ist felsenfest davon überzeugt, dass ein durch das gewaltige Medieninteresse vorprogrammiertes positives Echo ihm den Rücken stärken wird. Die Wiederaktivierung seiner dichterischen Ambitionen soll jedenfalls warten.

Autor: Horst Christoph


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