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Kunstberichte

Erotik, Leidenschaft und Exotik

In München feiert man das 100-jährige Jubiläum der Künstlergruppe "Die Brücke" in der Hypo-Kunsthalle
Illustration
- Karl Schmidt-Rottluffs „Drei Akte“ (Dünenbild aus Nidden), 1913  Foto: VG Bild-Kunst

Karl Schmidt-Rottluffs „Drei Akte“ (Dünenbild aus Nidden), 1913 Foto: VG Bild-Kunst

Von Krista Hauser

Die hehre Kunst des 19. Jahrhunderts, edle Porträts, Naturidyllen, auch der sanfte Impressionismus waren ihnen zuwider. Also malten sie "anders": wild, oft grell in ungemischten Grundfarben. Sie liebten Erotik und Exotik, entschieden sich für alternative Lebensformen, verschreckten manchen Philister und hatten trotzdem schon zu Lebzeiten Erfolg. Von den Nazis wurden ihre Farborgien, ihre Akte, Badenden und Tänzerinnen, auch ihre Landschaften aus nahen und fernen Paradiesen als "entartet" diffamiert, aus Museen verbannt.

Heute werden Gemälde und Zeichnungen der "Brücke"-Künstler Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Max Pechstein, Karl Schmidt-Rottluff und Emil Nolde (er gehörte allerdings nur kurz zur Gruppe) gerne auf Reisen geschickt, garantieren sie doch Besucherzahlen und internationales Echo.

Zum 100. Geburtstag der Gruppe im Sommer 2005 hatte die Berliner Nationalgalerie eine üppige Schau ausgerichtet, die Hypo-Kunsthalle München präsentiert jetzt die "Nachhut" dieser Jubiläumsschau.

Kunstachse zwischen Berlin und München

Zu Recht, denn die Kunstachse Berlin-München nutzten schon die "Brücke"-Künstler. Eine der beiden letzten Gemeinschaftsausstellungen fand 1913 im Münchner Kunstsalon statt. Im selben Jahr hatte Schmidt-Rottluff seine berühmten "Drei Badenden" (Dünenbild aus Nidden) gemalt: rote, in sich gekehrte Gestalten, inmitten von Pflanzen. Ein Jahr vorher war seine kubistische Komposition "Häuser am Kanal" entstanden, die auf das Wissen des ehemaligen Architekturstudenten verweist. Das gemeinsame Architekturstudium in Dresden, wo sie sich mit einem fixen Programm zur Künstlergruppe "Die Brücke" zusammengeschlossen hatten, verraten auch die kantigen Holzschnitte Heckels und Kirchners.

Der Weg zu diesen und anderen faszinierenden Arbeiten, etwa zu Pechsteins prächtigem "Sitzenden Mädchen" mit dem schrägen Gesicht und den schwarzen Haaren, das Katalog, Folder und Plakat werbewirksam schmückt, zu Pechsteins, in Berlin nicht gezeigtem Gemälde "Weib und Inder auf dem Teppich", zu Heckels "Zwei Schwestern", Kirchners "Haus mit Bäumen" und zu den Selbstbildnissen und Porträts der Freunde, führt in der Kunsthalle vorbei an der martialischen Reiterstatue Kaiser Wilhelm II, und Fotos "seines" Berlin.

Hierher waren die Künstler aus Dresden 1911 aufgebrochen, denn die Metropole boomte. Sie durchstreiften die nächtlichen Straßen, besuchten Varietés, schwärmten für Zirkus und Tingel-Tangel, hielten auf Papier und Leinwand fest, was sie erlebt, gesehen hatten. Drei von ihnen lebten mit Tänzerinnen, die natürlich beliebte Modelle waren.

Die unverblümte Erotik, Leidenschaft und Spontaneität war der Wilhelminischen Gesellschaft genauso suspekt wie die neue Bildsprache, die Hinwendung zu den kleinen Leuten und der Anspruch der kleinen Gruppe, Kunst und Leben zu verbinden.

Sie galten als Revolutionäre, fanden aber als die Berliner Avantgarde ihre Sammler nicht nur in Preußen. Auch wenn die Münchner Schau nicht alle Highlights, etwa Kirchners berühmte Straßenszenen und Berliner Kokotten zeigen kann: 30 Gemälde, rund 200 Aquarelle, Zeichnungen, Holzschnitte, Druckgrafiken, Plakate, Entwürfe für Glasfenster, auch Fotos, Schmuckstücke und Schriftstücke vermitteln den expressionistischen Aufbruch, eine kurze, hitzige Periode, die die deutsche Kunstwelt radikal veränderte.

Exemplarisch mit Werken vertreten sind neben den "Brücke"-Meistern van Gogh, Munch, Gauguin: Künstler, deren Einfluss deutlich spürbar wird.

In Wien gab es vor zehn Jahren im Kunstforum die erste und bisher letzte umfassende "Brücke"-Schau in Österreich. Aber auch wer die populären Bilder von Katalogen, Kunstkarten, Kalendern kennt: München macht hier ein Erleben von Angesicht zu Angesicht möglich.

"100 Jahre Brücke" – Expressionismus aus Berlin

Bis 21. Mai

Täglich: 1020 Uhr

Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München

Tel. 0049/89 /22 44 12

Umfassend.

Freitag, 14. April 2006


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