Die hehre Kunst des 19. Jahrhunderts, edle
Porträts, Naturidyllen, auch der sanfte Impressionismus waren ihnen
zuwider. Also malten sie "anders": wild, oft grell in ungemischten
Grundfarben. Sie liebten Erotik und Exotik, entschieden sich für
alternative Lebensformen, verschreckten manchen Philister und hatten
trotzdem schon zu Lebzeiten Erfolg. Von den Nazis wurden ihre Farborgien,
ihre Akte, Badenden und Tänzerinnen, auch ihre Landschaften aus nahen und
fernen Paradiesen als "entartet" diffamiert, aus Museen verbannt.
Heute werden Gemälde und Zeichnungen der "Brücke"-Künstler Erich
Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Max Pechstein, Karl
Schmidt-Rottluff und Emil Nolde (er gehörte allerdings nur kurz zur
Gruppe) gerne auf Reisen geschickt, garantieren sie doch Besucherzahlen
und internationales Echo.
Zum 100. Geburtstag der Gruppe im Sommer 2005 hatte die Berliner
Nationalgalerie eine üppige Schau ausgerichtet, die Hypo-Kunsthalle
München präsentiert jetzt die "Nachhut" dieser Jubiläumsschau.
Kunstachse zwischen Berlin und München
Zu Recht, denn die Kunstachse Berlin-München nutzten schon die
"Brücke"-Künstler. Eine der beiden letzten Gemeinschaftsausstellungen fand
1913 im Münchner Kunstsalon statt. Im selben Jahr hatte Schmidt-Rottluff
seine berühmten "Drei Badenden" (Dünenbild aus Nidden) gemalt: rote, in
sich gekehrte Gestalten, inmitten von Pflanzen. Ein Jahr vorher war seine
kubistische Komposition "Häuser am Kanal" entstanden, die auf das Wissen
des ehemaligen Architekturstudenten verweist. Das gemeinsame
Architekturstudium in Dresden, wo sie sich mit einem fixen Programm zur
Künstlergruppe "Die Brücke" zusammengeschlossen hatten, verraten auch die
kantigen Holzschnitte Heckels und Kirchners.
Der Weg zu diesen und anderen faszinierenden Arbeiten, etwa zu
Pechsteins prächtigem "Sitzenden Mädchen" mit dem schrägen Gesicht und den
schwarzen Haaren, das Katalog, Folder und Plakat werbewirksam schmückt, zu
Pechsteins, in Berlin nicht gezeigtem Gemälde "Weib und Inder auf dem
Teppich", zu Heckels "Zwei Schwestern", Kirchners "Haus mit Bäumen" und zu
den Selbstbildnissen und Porträts der Freunde, führt in der Kunsthalle
vorbei an der martialischen Reiterstatue Kaiser Wilhelm II, und Fotos
"seines" Berlin.
Hierher waren die Künstler aus Dresden 1911 aufgebrochen, denn die
Metropole boomte. Sie durchstreiften die nächtlichen Straßen, besuchten
Varietés, schwärmten für Zirkus und Tingel-Tangel, hielten auf Papier und
Leinwand fest, was sie erlebt, gesehen hatten. Drei von ihnen lebten mit
Tänzerinnen, die natürlich beliebte Modelle waren.
Die unverblümte Erotik, Leidenschaft und Spontaneität war der
Wilhelminischen Gesellschaft genauso suspekt wie die neue Bildsprache, die
Hinwendung zu den kleinen Leuten und der Anspruch der kleinen Gruppe,
Kunst und Leben zu verbinden.
Sie galten als Revolutionäre, fanden aber als die Berliner
Avantgarde ihre Sammler nicht nur in Preußen. Auch wenn die Münchner Schau
nicht alle Highlights, etwa Kirchners berühmte Straßenszenen und Berliner
Kokotten zeigen kann: 30 Gemälde, rund 200 Aquarelle, Zeichnungen,
Holzschnitte, Druckgrafiken, Plakate, Entwürfe für Glasfenster, auch
Fotos, Schmuckstücke und Schriftstücke vermitteln den expressionistischen
Aufbruch, eine kurze, hitzige Periode, die die deutsche Kunstwelt radikal
veränderte.
Exemplarisch mit Werken vertreten sind neben den "Brücke"-Meistern van
Gogh, Munch, Gauguin: Künstler, deren Einfluss deutlich spürbar wird.
In Wien gab es vor zehn Jahren im Kunstforum die erste und bisher
letzte umfassende "Brücke"-Schau in Österreich. Aber auch wer die
populären Bilder von Katalogen, Kunstkarten, Kalendern kennt: München
macht hier ein Erleben von Angesicht zu Angesicht möglich.
"100 Jahre Brücke" – Expressionismus aus Berlin
Bis 21. Mai
Täglich: 1020 Uhr
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München
Tel. 0049/89 /22 44 12
Umfassend.
Freitag, 14. April
2006