Salzburger Nachrichten am 24. März 2006 - Bereich: Kultur
Wo ist der Markt? Mehr Zuschauer, mehr
Geld? Ideen zur Neugestaltung der Filmförderung sorgen auf der "Diagonale"
für heftige Diskussionen. Wird der Kabarettfilm zum Maßstab?
Martin Behr GRAZ (SN). Er ist international erfolgreich wie kaum zuvor, wird aber
vom traditionellen heimischen Kinopublikum nicht gerade heiß geliebt: die
Rede ist vom österreichischen Film. Dass dieser am heimischen Markt nur
einen Anteil von zwei Prozent hat, erachtet Helmut Grasser, der Präsident
des Verbandes österreichischer Filmproduzenten, sowohl als "finanzielles
als auch kulturpolitisches Problem". Ein von Grasser verfasstes Papier,
wonach die Subventionsgeber in Zukunft jene Produzenten bevorzugt
unterstützen sollen, die im Inland die meisten Zuschauer erreichen, sorgt
auf der "Diagonale 06" in Graz für heftige Diskussionen. Michael Haneke, einer der renommiertesten Regisseure des Landes,
erklärte in der Diskussion "Der österreichische Film und sein Markt", dass
eine solche Strategie der Provinzialität Vorschub leisten würde. "Wenn ich
nicht die Chance gehabt hätte, auch schlechte Filme zu machen, wäre es nie
im Leben zu erfolgreicheren Produktionen gekommen", sagte Haneke und
erinnerte daran, dass er etwa mit seinem Streifen "Der siebente Kontinent"
nur rund 3500 Tickets in Österreich verkauft hatte. Die Lösung könne aber
nicht sein, nur noch - kommerziell erfolgreiche - Kabarettfilme zu
produzieren. In einer nach der Höhe der Besucherzahlen erstellten Top-20-Rangliste
der heimischen Filme rangiert "Hinterholz 8" von Harald Sicheritz ganz
oben (617.558 Besucher) gefolgt von "Poppitz" (ebenfalls Sicheritz,
441.017 Besucher) und Niki Lists "Müllers Büro" (441.000). Ist ein
finanzielles Geschäft mit dem künstlerisch wertvollen Autorenfilm hier zu
Lande unmöglich? "Nein", erklären "Diagonale"-Intendantin Birgit Flos und
ihr Geschäftsführer Oliver Testor im Gespräch mit den SN. Kommerzieller
Erfolg und filmische Innovation würden einander nicht ausschließen, ein
gutes Beispiel dafür sei Erwin Wagenhofers Doku "We Feed The World". Ein
Blockbuster lasse sich freilich nicht im Voraus planen. Für Birgit Flos
ist aber von Bedeutung, dass Subventionen für das Filmschaffen keine
Wirtschaftsförderung darstellen, sondern als Kulturförderung zu verstehen
sind. Ein in die Filmkultur investiertes Geld bringe stets eine
Umwegrentabilität mit sich, es sei mutig und spannend, ein Nischenpublikum
zu bedienen: "Wenn der erste Film kein Publikumserfolg wird, muss der oder
die Filmschaffende einen zweiten, dritten und vierten Streifen machen
können." Helmut Grasser betonte, er habe nicht gefordert, dass jemand keine
Förderung mehr bekommt. Was er wolle, sei eine neu geregelte
Fördervergabe: Mit 75 Prozent der Gesamtmittel sollten jene Filme
gefördert werden, die eine Mindestbesucherzahl um die 20.000 nachweisen
können. Die restlichen 25 Prozent sollen für "künstlerische Filme"
ausgegeben werden. Flos und Testor wünschen sich ein stärkeres Engagement des ORF im
heimischen Filmgeschehen sowie eine "begleitende, konstruktive Kritik"
aller Medien für die Filme. Der auf der "Diagonale 06" spürbare Boom in
Richtung Dokumentarfilm sei jedenfalls auch damit begründet, dass der ORF
es ablehne, gesellschaftlich brisante Themen zu erörtern. So werde dieses
Genre in die Kinos delegiert. Der Verband der Filmregisseure Österreichs
merkt in einem mehrseitigen Papier an, dass Film nach
marktwirtschaftlichen Kriterien in ganz Europa kein Geschäft sei. |