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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
06. Dezember 2005
18:27 MEZ
Von Markus Mittringer

Albertina
Bis 19. März  
Foto: Albertina
Selbstporträt aus Egon Schieles Zeit im Gefängnis: "Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heißt keimendes Leben morden!", 23. April 1912.

Traurige Körper in eindeutigen Posen
Die Wiener Albertina zeigt den Expressionisten Egon Schiele: Mit mehr als 200 Arbeiten und prominenten Leihgebern ist die Schau die größte seit Jahrzehnten

Der Publikumserfolg scheint garantiert.


Wien – Und wieder ist der Albertina Großes gelungen: die umfassendste Zusammenführung von Werken des großen österreichischen Expressionisten Egon Schiele seit 1948. (Damals ebenfalls in der Albertina als Gedächtnisausstellung für den 1918 der Spanischen Grippe Anheimgefallenen.) Der Hausherr selbst hat diesmal kuratiert, Klaus Albrecht Schröder hat die 130 Schiele-Blätter aus der Sammlung der Albertina mit rund 90 Leihgaben aus aller Welt ergänzt und derart versucht, Werkgruppen temporär zusammenzuführen, um Egon Schieles Arbeiten in Sequenzen zu veranschaulichen. Den Schwerpunkt der Schau hat Schröder auf die Jahre 1910 bis 1915 gelegt – und damit auf die weltweit generationsübergreifend so beliebten Akte. Aber natürlich sind auch die dem Kenner oft wichtigeren Selbstbildnisse reichlich vertreten.

Bei den Akten sieht Schröder die Modelle quasi filmisch umkreist, von allen Blickwinkeln aus "bis in intimste Ritzen" ausgeleuchtet, rasch skizziert und erst in der Nachbearbeitung – Kader für Kader – koloriert. Die Selbstbildnisse zeigten zwar auch die oft zitierte Innenschau eines Zerrissenen, bisweilen angstbesessenen Menschen, vielmehr aber rückt Schröder das theatralische Moment in den Vordergrund, die ganz absichtsvolle Selbstinszenierung eines Künstlers, der entgegen den gängigen Mythen um seine Person von Zeitgenossen als nachgerade abnormal normal geschildert wird. Und da könnte man jetzt gleich einen großen Sprung in das vergangene Jahrhundert machen und etwa an Arnulf Rainers Face- Farces und Body Poses denken, die rund 60 Jahre später eine wesensverwandte Mixtur aus Selbstreflexion und -stilisierung zeigen.

Wie Rainer warf sich auch Egon Schiele in Posen, verklärte sich zum Heiligen, Kranken, Triebtäter, zum Naiven und Missverstandenen. Und "erfand" dabei Symbolfiguren, Helden zum Aufschauen für die Lonesome Cowboys in seiner Klientel, wenn man so will auch klassische Projektionsflächen für Pubertätsfantasien. Und naturgemäß dienen auch Schieles explizite Darstellungen des weiblichen Körpers seit Generationen als Einstiegshilfen in die wunderbare Welt der Kunst. Nicht zuletzt pornografische Fotografien wie jene aus dem berühmten Wiener Atelier Schmidt dienten Egon Schiele als Vorbilder für seine seriell angelegten Interpretationen des Freizügigen.

Kunstkniffe

Mit ein paar entscheidenden Kniffen gelang es ihm, den Tabubruch von der Schmuddelecke in die Kunstgalerie zu verlagern. Bemühten sich die Erotomanen mit der Kamera noch um ein Ausreizen der Atmosphäre vermittels Interieur, so ließ Schiele allen Zierrat weg, lenkte die Kennerblicke allein durch die oft formatsprengenden Posen der Modelle ins Zentrum des Bildgeschehens.

Auch wählte er nicht die dem volkstümlichen Zeitgeist nahe pummelige Wienerin, sondern bevorzugte jugendstilig gelängte Mädchen (bzw. längte und legte sie sich am Blatt so zurecht, wie es seine Idee von Komposition gerade erforderte). Die so Schiele-typische Isolation des Körpers wird gerne als existenzielles Moment beschrieben, als Verweis auf das ewige Alleinsein, das so bedrückend Ort- und Bodenlose, lässt sich aber auch ganz simpel als Konzentration auf das Wesentliche lesen. Oder eben als Einsatz des Körpers als obzwar verwegen verschlungenes, letztlich aber immer stimmiges Ornament.

Und – neben dem plakativen Einsatz von Farbe – ganz entscheidend: die Melancholie. Traurig schauen mussten die Modelle, in sich versunken mussten sie erscheinen oder gar abgewendet, dem Betrachter den Rücken kehrend. Irgendein Tuch, Unterhemd oder sonstiges Requisit zum Anhalten durfte da dann auch nicht fehlen. Und in den seltenen Fällen, in denen Egon Schiele einen Mann am Set zuließ, herrschte natürlich bestenfalls körperliche Vereinigung. Ansonsten die übliche Distanz der Seelen, das Wollen, aber nicht Zueinanderfindenkönnen der ganz unparadiesisch nackten Akteure.

Egon Schiele starb 28-jährig, drei Tage nach dem Tod seiner Frau. Er starb als renommierter Künstler, hatte auch finanziell den Durchbruch geschafft – auch diesbezüglich kursieren ganz gegenteilige Mythen. (DER STANDARD, Printausgabe, 07.12.2005)


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