Salzburger Nachrichten am 3. November 2005 - Bereich: Kultur
Neue Schönheit an der Elbe

Dresden putzt sich heraus. Nach dem glanzvollen Abschluss des Wiederaufbaus der Frauenkirche sind Schloss und Neumarkt Aufgaben für die Stadtbildpflege.

GERALD FELBERDRESDEN (SN). Seit vergangenen Sonntag die Glocken der wieder aufgebauten Frauenkirche zu läuten begannen, herrscht an der Elbe eine Art Aufbruchstimmung. Tränen fließen, Massen drängen, eine verlorene Mitte ist zurückgewonnen und alles mit allem einig. Für den Moment jedenfalls. Denn nun, wo das technisch wie ästhetisch grandiose Ergebnis des Wiederaufbaus der Frauenkirche alle vorangegangenen Diskussionen kleinlich erscheinen lässt, ist zur Erinnerung verblasst, dass nicht nur die 15 Jahre dauernde Aktion selbst, sondern auch deren Ausgestaltung verschiedene Stufen durchlief.

Nun aber, mit frischem Enthusiasmus, geht es auch rundum weiter: Eisen müssen geschmiedet werden, so lange sie heiß sind. Die Ruine stand inmitten einer öd-platten, teils betonierten Brachfläche. Wer sich dem Bau jetzt nähert, steigt von der Elbseite her einen kleinen gepflasterten Hügel hinan. Und übers Eck wachsen, mit geradezu tropenpflanzenhafter Geschwindigkeit, alte Bürgerbauten neu empor: die Umbauung des Neumarktes, von dem man 60 Jahre lang kaum mehr wusste, dass es ihn einmal gegeben hatte. Mit diesem Platzraum entsteht ein weiteres Stück Alt-Dresden neu und gibt der Kirche ihre städtebauliche Einbindung zurück: Canaletto-Blicke allüberall.

Ein paar hundert Meter weiter schreitet der Wiederaufbau des Residenzschlosses voran - auch das war seit dem Krieg nicht mehr als ein geschwärztes Skelett. Dort wird bald das historische Grüne Gewölbe wieder eingeräumt, nachdem ein Teil davon in modernem Ambiente bereits seit dem Vorjahr gezeigt wird. Und so spektakulär die Bilder der Frauenkirche als Paradeobjekt in alle Welt gingen: Die reinen Zahlen sagen aus, dass mit dem Schloss noch wesentlich Größeres vorgeht. Gegenüber den hier verbauten 180 Millionen Euro werden es dort vor-aussichtlich gegen 500 Millionen Euro werden.

Das alles klingt in solcher Aufzählung - zumal man ja noch die Folgen des Hochwassers von 2002 "nebenbei" mit abarbeiten muss - ein wenig zu schön, um wahr zu sein. Oder besser: um die ganze Wahrheit zu sein. Denn alle aktuelle Harmonieseligkeit wird nur auf Zeit verdecken, dass es um die definitive Gestaltung des Stadtbildes von Alt-Dresden teils heftige Auseinandersetzungen gibt zwischen Bewahrern und einer Moderne-offeneren Fraktion.

Einer der aktuellen Zankäpfel ist dabei eben der Neumarkt, wo sich etliche Investoren aus den historisch getreuen Fassadenansichten verabschieden und auch nach außen Zeitgenössisches präsentieren wollen; eine andere für die traditionell konservative Sachsen-Hauptstadt schon fast umstürzlerische Idee, in eine der wenigen erhaltenen Barock-Straßenachsen in der Neustadt einen leibhaftigen Libeskind-Bau einzufügen.

Dresden debattiert über das Bild seiner Stadt Solche Debatten sind mit dem Frauenkirchen-Wiederaufbau, der auch manch vormaligen Skeptiker in Ergriffenheit gesetzt hat, nicht einfacher, sondern eher noch schwieriger geworden. Wobei die Diskussion um das Libeskind-Projekt auch ein wenig die gelegentliche Absurdität des Ganzen zeigt: Denn bisher stehen dort brave DDR-Plattenbauten, auch nicht der Gipfel der Schönheit.

In einer schönen Ausstellung mit 150 Bildern, die den "Blick auf Dresden" feiern, ist auch ein 1971 gemaltes von Ernst Hassebrauk zu sehen - und die Stadt leuchtet und wirbelt, allen Zerstörungen trotzend, in geradezu mediterranen Farben. Selbst die DDR-Oberen muss hier eine Art Respekt ergriffen haben. Denn neben allerlei Sünden (die allerdings nach der Wende etwa zwischen Bahnhof und Altstadt noch überboten wurden) gab es mit dem Wiederaufbau etwa von Zwinger, Gemäldegalerie und Semperoper auch schon bedeutende denkmalpflegerische Leistungen.

Die gleiche Ausstellung lässt vielleicht sogar ahnen, woran das liegen könnte. Auf kolorierten Kupferstichen von 1572 sind Leipzig und Dresden untereinander abgebildet, mit einem charakteristischen Unterschied: Während die Handelsstadt als kompakte Baumasse erscheint, ist Dresden schon hier in Fluss und Landschaft eingebunden. Dieses Bild - der weite Elbbogen, die sanft gerundeten Weinhänge - konnten nicht einmal die Spreng- und Brandbomben angreifen. "Der Blick auf Dresden". Ausstellung im Lipsius-Bau an der Brühlschen Terrasse, bis 1. Mai 2006, täglich 10-18 Uhr.