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16.05.2003 - Ausstellung
Immer auf dem Sprung - nur wohin?
Eine multimediale, vor allem aber höchst anschauliche Ausstellung.


Harald Szeemann präsentiert 73 Künstler aus Südosteuropa im Essl-Museum

D
as Schönste ist doch immer das Einfachste: Das Heck zweier schwarzer VW-Käfer fügte der 1963 in Skopje geborene Antoni Maznevski zu einer Skulptur zusammen. Das Objekt wirkt so skurril wie hermetisch. Was beweglich sein soll, wurde hier jählings eingefroren. Welche Spannungen mögen sich im Inneren entladen hinter der klassischen Industrie-Design-Fassade? Und wenn dieses Vehikel sich doch, trotz aller Behinderungen, in Bewegung setzt, wohin wird es fahren, ost- oder west-, nord- oder südwärts? Oder wird es auseinander brechen?

Der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann hat schon viele Kunst-Gewässer durchschwommen. Anders als viele seiner Kollegen ist er sich aber nicht zu schade für die Vermittlung. Daher gibt es zu vielen Objekten, die nun im Essl-Museum zu sehen sind, ausführliche Erläuterungen, nicht kunsttheoretische, sondern handfeste: Absicht, Zusammenhang der Werke.

"Blut & Honig, Zukunft ist am Balkan" heißt die Schau, Bal-Kan, Blut und Honig im Türkischen - auch ein bulgarischer Gebirgszug. "Der Titel evoziert die Pole von Zorn und Zärtlichkeit, Katastrophe und Idylle, von zutiefst Menschlichem und Universalem", schreibt Szeemann im Vorwort zum Katalog. Zu sehen sind Arbeiten aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Mazedonien, Moldawien, Rumänien, Slowenien, der Türkei sowie Serbien-Montenegro. Es sei die bisher teuerste und aufwendigste Ausstellung des Museums, so Hausherr Karlheinz Essl. Das Thema liegt in der Luft, Peter Weibel zeigte sein "Balkania" im Oktober 2002 in der Neuen Galerie in Graz.

Szeemanns Zugriff wirkt subjektiv, sinnlich, extensiv. Werke von Jungen wie von Alten werden vorgestellt, die älteste Künstlerin ist die 92jährige türkische Opernsängerin Semiha Berkosoy, in einem expressiven Kostüm mit spitzem Hexenhut auch bei der Eröffnung anwesend. Breiten Raum nimmt das Video ein. "Déjeuner avec Marubi" etwa vom Albaner Anri Sala illustriert anhand von Manets "Frühstück im Grünen" die schroffen Brüche zwischen Tradition und Moderne. Sala widmet derzeit auch die MQ-Kunsthalle eine Einzelausstellung.

Neben der Türkei waren die Habsburger lange Führungsmacht auf dem Balkan. Unheimlich breit macht sich der Leichenwagen für den ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand. Ironisch daneben gesetzt, eine bizarre hölzerne Sex-Maschine von der Bulgarin Lyuben Kostov. An der Wand: Gruselige Fotos und ein Porträt des Dracula-Vorbilds, Vlad Tzepesch, im 15. Jh. Woywode in der Walachei. Nicht nur an Tyrannei und Fremdherrschaft erinnert die Schau, auch an den heutigen Einfluss der, des Fremden.

Schilder von Hotels (Hotel Konstanta, Odessa, Sevastopol, Yalta) fügte Hüseyin Alptekin unter dem grimmigen Titel "Bedingungslose Gastfreundschaft" zum Tableau. Die Kroatin Sanja Ivekovic erforschte den Widerstand von Frauen in der Nazizeit - und bildete sie in Model-Posen ab. Vielfach erinnern die Künstler an Krieg und Emigration: "An artist who cannot speak english is no artist" steht auf einem Transparent über zwei Matratzen (Mladen Stilinivoc). Mark Verlan malte New York, versunken im Wasser, Moskau als Wüstenstadt. Auf Video-Stills: Alice im Go-West-Wonderland. Maja Bajevic zeigt Frauen beim Auswaschen von Tito-Slogans aus Textilien: "Lange lebe die bewaffnete Bruderschaft und Einheit unserer Nation". Auf einem Aktions-Video brennt ein Kreuz. Wo ist (noch) Heimat? bp

Bis 28. 9. Di-So 10-19, Mi 10-21 Uhr, Mo. geschlossen, Eintritt: 6 €, Katalog: 34.90 €.



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