Harald Szeemann präsentiert 73 Künstler aus Südosteuropa im
Essl-Museum
D
as Schönste ist doch immer das Einfachste: Das Heck zweier
schwarzer VW-Käfer fügte der 1963 in Skopje geborene Antoni Maznevski zu
einer Skulptur zusammen. Das Objekt wirkt so skurril wie hermetisch. Was
beweglich sein soll, wurde hier jählings eingefroren. Welche Spannungen
mögen sich im Inneren entladen hinter der klassischen
Industrie-Design-Fassade? Und wenn dieses Vehikel sich doch, trotz aller
Behinderungen, in Bewegung setzt, wohin wird es fahren, ost- oder west-,
nord- oder südwärts? Oder wird es auseinander brechen?
Der Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann hat
schon viele Kunst-Gewässer durchschwommen. Anders als viele seiner
Kollegen ist er sich aber nicht zu schade für die Vermittlung. Daher gibt
es zu vielen Objekten, die nun im Essl-Museum zu sehen sind, ausführliche
Erläuterungen, nicht kunsttheoretische, sondern handfeste: Absicht,
Zusammenhang der Werke.
"Blut & Honig, Zukunft ist am Balkan" heißt die
Schau, Bal-Kan, Blut und Honig im Türkischen - auch ein bulgarischer
Gebirgszug. "Der Titel evoziert die Pole von Zorn und Zärtlichkeit,
Katastrophe und Idylle, von zutiefst Menschlichem und Universalem",
schreibt Szeemann im Vorwort zum Katalog. Zu sehen sind Arbeiten aus
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Griechenland,
Mazedonien, Moldawien, Rumänien, Slowenien, der Türkei sowie
Serbien-Montenegro. Es sei die bisher teuerste und aufwendigste
Ausstellung des Museums, so Hausherr Karlheinz Essl. Das Thema liegt in
der Luft, Peter Weibel zeigte sein "Balkania" im Oktober 2002 in der Neuen
Galerie in Graz.
Szeemanns Zugriff wirkt subjektiv, sinnlich, extensiv.
Werke von Jungen wie von Alten werden vorgestellt, die älteste Künstlerin
ist die 92jährige türkische Opernsängerin Semiha Berkosoy, in einem
expressiven Kostüm mit spitzem Hexenhut auch bei der Eröffnung anwesend.
Breiten Raum nimmt das Video ein. "Déjeuner avec Marubi" etwa vom Albaner
Anri Sala illustriert anhand von Manets "Frühstück im Grünen" die
schroffen Brüche zwischen Tradition und Moderne. Sala widmet derzeit auch
die MQ-Kunsthalle eine Einzelausstellung.
Neben der Türkei waren die Habsburger lange Führungsmacht
auf dem Balkan. Unheimlich breit macht sich der Leichenwagen für den
ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand. Ironisch daneben gesetzt, eine
bizarre hölzerne Sex-Maschine von der Bulgarin Lyuben Kostov. An der Wand:
Gruselige Fotos und ein Porträt des Dracula-Vorbilds, Vlad Tzepesch, im
15. Jh. Woywode in der Walachei. Nicht nur an Tyrannei und Fremdherrschaft
erinnert die Schau, auch an den heutigen Einfluss der, des Fremden.
Schilder von Hotels (Hotel Konstanta, Odessa, Sevastopol,
Yalta) fügte Hüseyin Alptekin unter dem grimmigen Titel "Bedingungslose
Gastfreundschaft" zum Tableau. Die Kroatin Sanja Ivekovic erforschte den
Widerstand von Frauen in der Nazizeit - und bildete sie in Model-Posen ab.
Vielfach erinnern die Künstler an Krieg und Emigration: "An artist who
cannot speak english is no artist" steht auf einem Transparent über zwei
Matratzen (Mladen Stilinivoc). Mark Verlan malte New York, versunken im
Wasser, Moskau als Wüstenstadt. Auf Video-Stills: Alice im
Go-West-Wonderland. Maja Bajevic zeigt Frauen beim Auswaschen von
Tito-Slogans aus Textilien: "Lange lebe die bewaffnete Bruderschaft und
Einheit unserer Nation". Auf einem Aktions-Video brennt ein Kreuz. Wo ist
(noch) Heimat? bp
Bis 28. 9. Di-So 10-19, Mi 10-21 Uhr, Mo. geschlossen,
Eintritt: 6 €, Katalog: 34.90 €.
© Die Presse | Wien