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15.10.2002 - Ausstellung
Geisterhafte Fahrten durch die Leere: eine Hinrichtung des Blicks
Mit "Deanimated" geht der österreichische Experimentalfilmer Martin Arnold aus dem Kino in den Installationsraum, um dem Hollywoodkino zu Leibe zu rücken. Eine Ausstellung in der Kunsthalle im Museumsquartier.
VON CHRISTOPH HUBER


Bisher war Martin Arnold, meistausgezeichneter österreichischer Avantgarderegisseur der Gegenwart, vor allem als Reanimator tätig: In seinen Arbeiten löste er kurze Sequenzen von Hollywoodfilmen aus ihrem abgegriffenen Kontext und infizierte sie mit hysterischem neuen Leben. In pièce touchée wurde ein banaler Bauteil eines Fünfziger-Jahre Krimis - ein Mann betritt ein Zimmer, in dem eine Frau sitzt - mittels Zeitmanipulation und Achsenspiegelungen zum sexuell aufgeladenen Ballet des Begehrens dekonstruiert.

In passage à l'acte entglitt die harmlose Frühstücksszene aus Wer die Nachtigall stört zur lodernden Familienhölle. Indem er die Hiphop-Methode des Scratchens für filmische Zwecke adaptierte, setzte Arnold ein Stakkato abgründiger Elemente frei: Türen schlagen auf und zu wie Maschinengewehre; Worte werden zerfetzt, ihre Überbleibsel bergen obszöne Sinnreste; Gregory Pecks Hantieren mit dem Eßbesteck entpuppt sich im ekstatischen Vor-Zurück als potentielle Attacke.

Was sich in Arnolds letztem Film, Alone, zeitweise schon angedeutet hat - eine zurückhaltendere Variante seiner gleichermaßen überwältigenden wie komischen Entfesselungsarbeit am verborgenen Sinn -, hat er nun, als Installation in der Kunsthalle im Museumsquartier, ins andere Extrem getrieben. Deanimated nennt sich folgerichtig die Installation, deren zentrales Stück nicht durch Verdichtung, sondern durch Entleerung dem Originalmaterial ans Eingemachte geht. The Invisible Ghost, ein 60minütiger Psychothriller des extravaganten Stilisten Joseph H. Lewis, wird mittels digitalen Morphings diverser Figuren, Dialoge und seines eingeschriebenen Sinns beraubt.

Rudimentär kann man anfangs noch die originale Handlung ablesen: Ein Witwer (Bela Lugosi) weigert sich, den Tod seiner Frau zur Kenntnis zu nehmen, läßt sich vom Butler ein Abendessen für zwei servieren. Doch nicht sie allein bleibt fürs Publikum unsichtbar: Mit fortschreitender Handlung häufen sich die personellen Leerstellen - nicht nur, weil ein Mörder sein Unwesen treibt -, bis gegen Ende geisterhafte Kamerabewegungen durch leere Sets zurückbleiben. Sie folgen einer Ordnung, deren Bauplan sich nunmehr dem Zuseher entzieht.

Praktizierter Wahnsinn

Die verstörende Umschreibung des Originals hat vorher schon ungeahnte Sinnverschiebungen produziert: Charaktere, deren Münder digital zur Bewegungslosigkeit verdammt sind, stehen nun wortlos, nach narrativen Gesichtspunkten sinnlos im Bild herum, während ihre hilflosen Gesten unheimliche Präsenz entwickeln. In Ermangelung des Handlungsfadens wird, was vorher nur Beiwerk war, plötzlich zum beunruhigenden Mittelpunkt: Ungläubiges Starren und abrupte Zuckungen ordnen das Material zum Verzeichnis bisher unsichtbarer Defekte - praktizierter Wahnsinn angesichts einer Welt, in der das Nichts expandiert.

Zwei kürzere Doppelprojektionen sind ebenfalls durch Entzugsarbeit zu Schimären der Katastrophe reduziert: Disassociated stellt die zwei Protagonistinnen einer Dialogszene aus Alles über Eva gegenüber. Zum Schweigen verdammt, werfen sie sich von zwei gegenüberliegenden Leinwänden aus unverständliche Blicke zu, nur die Dialogpausen hat Arnold als Soundtrack verwendet. Dazwischen steht der Zuseher inmitten eines unbegreiflichen Konflikts, der von beunruhigenden Atemstößen und Keuchlauten orchestriert wird.

In Forsaken spielt sich der Showdown von High Noon ohne Protagonisten ab: Rauchwölkchen aus unsichtbaren Colts zeigen den Ursprung der peitschenden Pistolenschüsse auf der Tonspur, Dimitri Tiomkins nunmehr unpassend empathischer Score begleitet bloß erahnbare Duelle, die sich diesmal wirklich in einer Geisterstadt abspielen. Allerdings sind die beiden Loops von Forsaken nicht völlig identisch: Um den unterschiedlichen Details auf den Fersen zu bleiben, muß man beständig den Blick hin- und herwechseln lassen.

Was Arnolds Ästhetik auf den Punkt bringt: Er praktiziert eine Hin-Richtung des Blicks - die trotz der Vernichtung von Ausgangsmaterial aber nicht auf eine Auslöschung zustrebt, sondern auf eine gewinnbringende Verschiebung der Sehgewohnheiten.

Bis 2. Februar, tägl. 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 22 Uhr.



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