Bisher war Martin Arnold, meistausgezeichneter
österreichischer Avantgarderegisseur der Gegenwart, vor allem als
Reanimator tätig: In seinen Arbeiten löste er kurze Sequenzen von
Hollywoodfilmen aus ihrem abgegriffenen Kontext und infizierte sie mit
hysterischem neuen Leben. In pièce touchée wurde ein banaler
Bauteil eines Fünfziger-Jahre Krimis - ein Mann betritt ein Zimmer, in dem
eine Frau sitzt - mittels Zeitmanipulation und Achsenspiegelungen zum
sexuell aufgeladenen Ballet des Begehrens dekonstruiert.
In passage à l'acte entglitt die harmlose
Frühstücksszene aus Wer die Nachtigall stört zur lodernden
Familienhölle. Indem er die Hiphop-Methode des Scratchens für filmische
Zwecke adaptierte, setzte Arnold ein Stakkato abgründiger Elemente frei:
Türen schlagen auf und zu wie Maschinengewehre; Worte werden zerfetzt,
ihre Überbleibsel bergen obszöne Sinnreste; Gregory Pecks Hantieren mit
dem Eßbesteck entpuppt sich im ekstatischen Vor-Zurück als potentielle
Attacke.
Was sich in Arnolds letztem Film, Alone, zeitweise
schon angedeutet hat - eine zurückhaltendere Variante seiner gleichermaßen
überwältigenden wie komischen Entfesselungsarbeit am verborgenen Sinn -,
hat er nun, als Installation in der Kunsthalle im Museumsquartier, ins
andere Extrem getrieben. Deanimated nennt sich folgerichtig die
Installation, deren zentrales Stück nicht durch Verdichtung, sondern durch
Entleerung dem Originalmaterial ans Eingemachte geht. The Invisible
Ghost, ein 60minütiger Psychothriller des extravaganten Stilisten
Joseph H. Lewis, wird mittels digitalen Morphings diverser Figuren,
Dialoge und seines eingeschriebenen Sinns beraubt.
Rudimentär kann man anfangs noch die originale Handlung
ablesen: Ein Witwer (Bela Lugosi) weigert sich, den Tod seiner Frau zur
Kenntnis zu nehmen, läßt sich vom Butler ein Abendessen für zwei
servieren. Doch nicht sie allein bleibt fürs Publikum unsichtbar: Mit
fortschreitender Handlung häufen sich die personellen Leerstellen - nicht
nur, weil ein Mörder sein Unwesen treibt -, bis gegen Ende geisterhafte
Kamerabewegungen durch leere Sets zurückbleiben. Sie folgen einer Ordnung,
deren Bauplan sich nunmehr dem Zuseher entzieht.
Praktizierter Wahnsinn
Die verstörende Umschreibung des Originals hat vorher
schon ungeahnte Sinnverschiebungen produziert: Charaktere, deren Münder
digital zur Bewegungslosigkeit verdammt sind, stehen nun wortlos, nach
narrativen Gesichtspunkten sinnlos im Bild herum, während ihre
hilflosen Gesten unheimliche Präsenz entwickeln. In Ermangelung des
Handlungsfadens wird, was vorher nur Beiwerk war, plötzlich zum
beunruhigenden Mittelpunkt: Ungläubiges Starren und abrupte Zuckungen
ordnen das Material zum Verzeichnis bisher unsichtbarer Defekte -
praktizierter Wahnsinn angesichts einer Welt, in der das Nichts
expandiert.
Zwei kürzere Doppelprojektionen sind ebenfalls durch
Entzugsarbeit zu Schimären der Katastrophe reduziert: Disassociated
stellt die zwei Protagonistinnen einer Dialogszene aus Alles über
Eva gegenüber. Zum Schweigen verdammt, werfen sie sich von zwei
gegenüberliegenden Leinwänden aus unverständliche Blicke zu, nur die
Dialogpausen hat Arnold als Soundtrack verwendet. Dazwischen steht der
Zuseher inmitten eines unbegreiflichen Konflikts, der von beunruhigenden
Atemstößen und Keuchlauten orchestriert wird.
In Forsaken spielt sich der Showdown von High
Noon ohne Protagonisten ab: Rauchwölkchen aus unsichtbaren Colts
zeigen den Ursprung der peitschenden Pistolenschüsse auf der Tonspur,
Dimitri Tiomkins nunmehr unpassend empathischer Score begleitet bloß
erahnbare Duelle, die sich diesmal wirklich in einer Geisterstadt
abspielen. Allerdings sind die beiden Loops von Forsaken nicht
völlig identisch: Um den unterschiedlichen Details auf den Fersen zu
bleiben, muß man beständig den Blick hin- und herwechseln lassen.
Was Arnolds Ästhetik auf den Punkt bringt: Er praktiziert
eine Hin-Richtung des Blicks - die trotz der Vernichtung von
Ausgangsmaterial aber nicht auf eine Auslöschung zustrebt, sondern auf
eine gewinnbringende Verschiebung der Sehgewohnheiten.
Bis 2. Februar, tägl. 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 22
Uhr.
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