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Ausstellung: Nackte Tatsachen in Zagreb

03.11.2008 | 18:35 | NICOLE SCHEYERER (Die Presse)

40 Jahre sexuelle Befreiung und politisches Aufbegehren: „Cutting Realities“ in New York untersucht 1968, verschärft durch Protestkunst aus Osteuropa.

Eine Blondine reibt ihre Lippen an einer Banane, leckt sie frivol lächelnd ab und führt sie lüstern in den Mund. Ob viele Passanten diese Filmszene in der Auslage des Austrian Cultural Forum in New York bemerken? Zumindest hat sich bisher kein Puritaner darüber beschwert, was auch am Alter der Schwarz-Weiß-Arbeit aus den 1970ern von der polnischen Künstlerin Natalia LL liegen mag.

Die Ausstellung „Cutting Realities“ bezieht sich auf das Jahr 1968: 40 Jahre sexuelle Befreiung, politisches Aufbegehren und Erschütterung der Hierarchien zwischen den Generationen und Geschlechtern. Interessant wird das heuer schon überstrapazierte Thema durch osteuropäische Kunst, die Kurator Walter Seidl aus der Sammlung der Erste Bank für die Schau ausgewählt hat. Hinter dem Eisernen Vorhang wog jede öffentliche Protestkundgebung schwerer.

„In meinen Tagebüchern habe ich schon früh über die Zurückweisung von sozial normierter Identität nachgedacht. Ich habe mich gefragt, wie Konzepte von ,Nicht-Identität‘ aussehen könnten“, erzählte Valie Export bei der begleitenden Podiumsdiskussion. Die New Yorker Künstlerin Karen Finlay verglich Exports provokantes Foto „Genitalpanik“, wo sie mit Waffe und zwischen den Beinen aufgeschnittener Jeans posiert, mit aktuellen Sujets des US-Wahlkampfs. Das Cover des „New Yorker“ karikierte Michelle Obama als Black-Panther-Kämpferin, während Sarah Palin die Waffe bewusst als Statement für Law and Order einsetzt.

 

Beschnitten: Das Brusthaar Peter Weibels

Die Schere als Mittel der Veränderung zeigte Export 1967 in ihrer Performance „Cutting“, von der ein Video läuft. In dieser frühen Expanded-Cinema-Aktion zum Schnitt als Konstruktionstechnik filmischer Wirklichkeit durchtrennt die Künstlerin nicht Zelluloidstreifen, sondern Leinwände und das Brusthaar von Peter Weibel. Spannend der Vergleich des medienkritischen Werks mit dem 15 Jahre später entstandenen Video „Personal Cuts“, von Sanja Ivekovi?: Mit Befreiungsgestus schneidet sich die Künstlerin dabei Löcher in eine über ihren Kopf gezogene Strumpfmaske. Dazwischen sind kurze Sequenzen aus dem jugoslawischen Fernsehen zu sehen, die die ideologische Durchdringung der Medien überdeutlich machen.

Im ruhigen Video „Copying Mother, Copying Father, Copying Child“ thematisiert die Pragerin Kate?ina ?eda innerfamiliäre Prägungen, indem sie Bewegungen ihrer Eltern nachahmt. Ulrike Lienbachers feine Tuschzeichnungen illustrieren in Fragmenten weibliche Rituale: Waschen, Kleiden oder Frisieren; die seltsame Bewegung eines Mannes im begleitenden Video entpuppt sich witzigerweise als das Schwingen eines Hula-Hoop-Reifens. Wie magische Rituale wirken die vielen Fotos des Künstlerpaars Zofia Kulik und Przemyslaw Kwiek mit ihrem Baby von 1972. Stilllebengleich liegt der Sohn in einem Kreis aus Zwiebeln oder umrahmt von Besteck, so distanziert, als wäre er nur ein skulpturales Objekt. In ein Reich amorpher Rundungen führen die eiförmigen Kleinskulpturen von Mária Bartuszová. Ihre formalistischen Arbeiten würden an sich wenig in die Schau passen, doch eine benachbarte Installation von Denisa Lehocká schafft hier mit ähnlichen Formen eine stark weiblich konnotierte Anordnung.

Für die Ausstellung spricht, dass „Gender Strategies in Art“ nicht auf eine Dichotomie von männlich und weiblich, auf den Kampf der Geschlechter fixiert wird. Die einzige dezidiert feministische Arbeit aus Osteuropa vor der Wende ist von Ivekovi?, die 1976 in der Serie „The Black File“ Vermisstenanzeigen junger Mädchen mit Erotikfotos konfrontierte. Der Kroate Antonio Gotovac Lauer fackelte nicht lang, befreite seinen Körper öffentlich von aller Kleidung. Ein Foto zeigt den Konzeptkünstler 1971 als Flitzer durch Zagreb, wo er die kommunistische Öffentlichkeit mit nackten Tatsachen konfrontierte.


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