Pfeilerhalle der Albertina: Pop-Artist Roy
Lichtenstein, "Black & White 1961–1968"
Liebe zur Untiefe des Seins
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Roy Lichtensteins "Woman in Bath" (1963) mit dem typischen Muster. Foto:
Roy Lichtenstein/VBK Wien
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Von Brigitte
Borchhardt-Birbaumer
![Aufzählung Aufzählung](00091996-Dateien/wzfeld.gif)
Manche
Künstler werden erst im Alter von fast 40 Jahren zu Revolutionären.
Erkannt wird das erst Jahrzehnte später. 1964 fragten sich die Kritiker
noch, ob es sich bei Roy Lichtenstein um den schlechtesten Künstler der
Welt handle. "Hochkunst" wollte sich noch elitär vom Kitsch des
Trivialen absondern.
Aber die amerikanischen Sammler scharten sich schnell nach ersten
Ausstellungen 1962 um ihn und andere Pop-Art-Vertreter – wie etwa Andy
Warhol –, die sich als Vorlagen ihrer Zeichnungen und Gemälde nur
Allerweltssujets aus Werbung, Comics oder Versandkatalogen wählten. Der
absolut kunstlose Kommerz, der bald die ganze Welt von Amerika aus
überschwemmen sollte, wurde in diesen Werken ironisch auf den Punkt
gebracht.
Umfunktion der Pinselstriche zu grafischen Zeichen
Die Zeichnung spielt in der Etablierung eines zeitgenössischen, vom
subjektiven Strich losgelösten Stils eine entscheidende Rolle. Der
abstrakte Expressionismus propagierte gegenstandslose Malerei, die mit
körperlichem Impetus direkt – ohne Vorzeichnung – auf die Leinwand
übertragen wurde. Persönliche und spontane Geste war Trumpf des
Genialen, doch Lichtenstein nahm den pathetischen Selbstausdruck weg und
reduzierte den Pinselstrich einfach auf ein Zeichen. Die Imitation von
"Brushstrokes" wurde eine seiner prominentesten Werkgruppen. Es ist
neben den Comics, Landschaften und Essenstillleben sein Lieblingssujet,
seine Karikatur oder sein Widerspruch gegen das, was bislang
künstlerische Handschrift ausmachte. Es war nicht leicht, Pinselstriche
zum grafischen Zeichen umzufunktionieren: Zuerst gelang es ihm in der
Malerei mittels Projektion auf Leinwand, erst danach klappte es in der
Zeichnung. Es handelt sich also bei Lichtenstein nie um Vorzeichnungen
von Gemälden, oft entstanden die Blätter erst nach Bildern. Sie müssen
somit als völlig eigenständiger Komplex begriffen werden.
In seinen Zeichnungen ist das Punktmuster entscheidend, das so tut,
als sei es maschinell hergestellt wie Druck- oder Gebrauchsgrafik.
Tatsächlich ist die Technik eine Imitation des damals erfundenen
"Benday"-Druckverfahrens.
Trotz einiger Wandlungen ab 1961 – Lichtenstein machte die Punkte
zuerst mit Feder, dann mit Industriestift – sind sie immer eigenhändig
aufgetragen, was freilich nur im Original und von der Nähe sichtbar ist.
Von anfänglichen Unregelmäßigkeiten der Punkte, die mittels Schablone
korrigiert wurden, über die Frottage von Mustern auf Unterlagen,
gelangte Lichtenstein bis zum perfektionistischen Raster. Die dazu
notwendigen Schreibwerkzeuge, Papiere und Tinten, aber auch zahlreiche
Vorlagen und Musterbüchlein für solche Anregungen aus Magazinen und
Comics, sind in Vitrinen aufgelegt.
Der Entwicklungsprozess seiner Zeichenkunst von 1961 bis 1968 lässt
sich in der von der Albertina übernommenen Schau nachvollziehen.
Forschungen dazu gingen von Isabelle Dervaux vom Morgan Library &
Museum in New York aus – mit Antonia Hoerschelmann als Kuratorin in Wien
wurden die 60 Zeichnungen mit 17 Gemälden angereichert.
Roy Lichtensteins Liebe zur Struktur
Sie konterkarieren zwar den Untertitel "Black & White", folgen
aber des Direktors Devise, Grafik nur im Zusammenhang mit Malerei zu
zeigen. Neben Anfangsblättern wie "Mail-Order Foot" 1961 ist auch das
erhaltene Objekt einer Installation des Künstlers von 1967 zu finden.
Lichtenstein gestaltete damals beim Aspen Festival of Contemporary Art
einen ganzes Zimmer als Zeichnung; einzig die Türe mit der Aufschrift
"Nok!! Nok!!" hat sich neben Fotografien erhalten. Die Erweiterung von
Zeichnung in den Raum macht den starken Bezug der Pop-Art-Künstler zur
gleichzeitigen aktionistischen Szene eines Allan Kaprow und anderen
deutlich.
Doch die Liebe Roy Lichtensteins in Zeichnung und Malerei zur
Struktur, wie etwa mittels Punkt- oder Gitterraster, verweist auch in
die Zukunft der sich aus dieser kunstlosen Kunst der Pop-Art
entwickelnden Minimal- und Konzeptkunst. Lichtensteins Ausspruch
bekräftigt dies: "Meine Leidenschaft ist aber natürlich der
leidenschaftslose Stil!"
Ausstellung
Roy Lichtenstein: Black & White
Isabelle
Dervaux, Antonia Hoerschelmann (Kuratorinnen)
Albertina
Printausgabe vom Freitag, 28. Jänner
2011
Online seit: Donnerstag, 27. Jänner 2011 19:36:00