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Kunstberichte

Gemaltes Gedächtnis

Gesichter erzählen Geschichten: Hermesvilla zeigt 300 Wiener Porträts
Illustration
- Ein intensives Porträt von Schriftsteller und Pazifist Rudolf Jeremias Kreutz von 1928, gemalt von Franz Howanietz.  Foto: Wien Museum

Ein intensives Porträt von Schriftsteller und Pazifist Rudolf Jeremias Kreutz von 1928, gemalt von Franz Howanietz. Foto: Wien Museum

Von Julia Urbanek

Wenn man nach der Reise über den übervollen Gürtel und durch das geschäftige Hietzing schließlich im vogelzwitschernden Lainzer Tiergarten landet, sieht man schon ein paar der vielen Gesichter Wiens.

In der Wiener Hermesvilla begegnen sie einem dann 300-fach. Zerbrechliche Antlitze, wilde Fratzen und gekrönte Häupter aus vier Jahrhunderten reihen sich hier nebeneinander. In der Dependance des Wien Museums sind sie alle auf kleinstem Raum zusammen: Kaiser, Schönheiten, Politiker, Verbrecher, Künstler, Kinder, Freaks, Unbekannte und Tote. Das Wien Museum, dessen Porträtsammlung 100.000 Werke zählt, hat für "Schau mich an" eine gut verdauliche und anregende Auswahl getroffen, die eine Geschichte Wiens erzählt.

Für die Ewigkeit

Den Anfang der Schau machen "Bilder gegen das Vergessen" – geliebte Menschen wurden für die Ewigkeit gebannt. Porträts sollten immer schon Vergängliches festhalten, dazu gehört auch Erotik und Jugend: Herzige Wiener Mädels neben barbusigen Damen des 19. Jahrhunderts reihen sich im "Schönheiten-Kabinett".

"Schau mich an" sagen aber auch jene, die die Kraft der Bilder zur Machtdarstellung und Propaganda nutzten: Franz I., Karl Lueger, Engelbert Dollfuß, Adolf Hitler bis zu den Politikern von heute.

Interessant ist anzusehen, wie sich Bildersprache und Symbolik bis zu den aktuellsten Wahlkampfplakaten verändert haben.

Vater, Mutter, Kind

Aber auch Familien wollten Stärke und Geschlossenheit demonstrieren: Die Vater-Mutter-Kind-Konstellationen zeigen die sozialen Veränderungen durch die Epochen – Biedermeier-Idyll, eine Kaisertrauung neben einer Kleinhäuslerhochzeit, Alltag der Familie Moll bis zu legendären Trude Fleischmann-Bildern, von der sich viele Schauspieler ablichten ließen. Künstlerporträts haben hier aber auch einen eigenen Bereich: mit Abbildungen von Stars aus Film und Fernsehen oder der Hans-Makart-Muse und Theaterdiva Charlotte Wolter. Auch ein Werk von Arnold Schönberg findet sich hier – er porträtierte Alban Berg. Zur Malerei inspiriert wurde er von Richard Gerstl, der eine Affäre mit Schönbergs Frau Mathilde hatte. Ein verzweifeltes Selbstporträt von Gerstl hängt nebenan, ein paar Bilder weiter Gustav Mahler oder Adolf Loos. Jedes Bild erzählt seine Geschichten, vernetzt mit denen der anderen. Man könnte stundenlang in den Gesichtern lesen und dabei stückchenweise Wiener Geschichte begreifen. Also, schauen Sie sich das an!

Wiener Porträts

Wien Museum Hermesvilla,

Lainzer Tiergarten

Dienstag bis Sonntag und Freitag, 10 bis 18 Uhr

Bis 7. Jänner 2007

http://www.wienmuseum.at/

Sehenswert.

Donnerstag, 13. April 2006


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