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29.09.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung | ![]() |
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Kunst-Biennale: "Kulturlose Eliten" im Zuckerlrausch | ![]() |
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VON ALMUTH SPIEGLER | ![]() |
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Eine Million Besucher werden in São Paulo erwartet. Eine Mega-Stadt mit kulturellen Hoffnungen, eine Ausstellung globalisierter Ästhetik. | ![]() |
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Drei schmale Räume, die Fenster hoch oben. An den Wänden
Schwarzweißfotos. Auf einem er kennt man den Sänger Gilberto Gil, zurzeit
Brasiliens Kulturminister. Ende 1968 landete er hier, mitten in São Paulo,
in den Fängen der Geheimpolizei. Eine Erfahrung, die er mit Claudia Costin
teilt. Die erfahrene Politikerin mit dem staunenden Mädchengesicht ist
heute Kulturministerin des Bundesstaates São Paulo - und eröffnete im
Jänner, an dem Ort, wo sie einst verhört wurde, die "Estação Pinacoteca".
Die Gedenkräume sind das einzige, was zwischen brasilianischer Moderne und
einer Sonderschau des Stedelijk Museums Amsterdam noch an das Gefängnis
der Militärdiktatur (1964-1985) erinnern darf. Ihr Büro hat die 48-jährige Ministerin im Gebäude
nebenan, einem alten Bahnhof, in den um 45 Millionen Dollar ein
Konzertsaal eingebaut wurde. Zehn große und 110 kleine Orchester gibt es
im Staat São Paulo, 16 Museen, fünf Theater, dutzende Kulturzentren. Dabei
kann Costin nur über 0,43 Prozent des Gesamtbudgets verfügen - was in
brasilianischen Dimensionen immerhin 41 Mio. Dollar ausmacht. Ausgaben,
die in all der Not damit gerechtfertigt werden, dass Kultur die Menschen
von der Straße holt. Dazu könnte auch die österreichische Literatur einen unerwarteten Beitrag leisten - Costin bot der zur 26. Kunstbiennale nach São Paulo angereisten oberösterreichischen Landtagspräsidentin Angela Orthner an, österreichische Autoren übersetzen zu lassen und in die Volksbibliotheken aufzunehmen. So könnte etwa ein Austrokoffer seinem Namen endlich gerecht werden . . . Als ihre wichtigste Aufgabe sieht Costin es aber, den Menschen überhaupt einen Zugang zum Kulturangebot zu schaffen. Denn größer als die gesellschaftliche Apartheid sei in Brasilien die kulturelle Apartheid, so Costin, "kulturlose Eliten" haben sich gebildet. Ein Phänomen, das auch bei der Eröffnung der nach Venedig
zweitältesten Kunstbiennale der Welt vergangenen Freitag hinter seine
Maske blinzeln ließ, als tausende Besucher rücksichtslos über die aus
Stoff genähten Stadtlandschaften der Chinesin Yin Xiuzhen stolperten. Dass
innerhalb von Sekunden eine aus Süßigkeiten gebastelte Weltkarte
geplündert wurde, war dagegen von Künstler Song Dong geplant. Wohl aber
auch, dass irgendjemand vorher oder nachher wenigstens einen Gedanken an
die Gier an sich verschwendet. Denn der Hunger der
20-Millionen-Megalopolis war es sicher nicht, der das Sekt-trinkende
Vernissage-Publikum im grandiosen Oscar-Niemeyer-Pavillon zur
Zuckerl-Orgie getrieben hat. Das Normalpublikum wird am Sonntag nur mehr spärliche
Reste vorgefunden haben. Erstmals bei freiem Eintritt - eine fast
revolutionäre Öffnung der Weltkunst-Ausstellung im Ibirapuera Park, von
der ein Publikumsrekord von einer Million erwartet wird. Diese angestrebte
"Demokratisierung der Kunst" relativiert sich allerdings wieder in den
Beipack-Texten der Werke, wo man nicht auf Insider-Sprache verzichten
wollte - wer kann schon viel anfangen mit "konnotativ" oder "hyphenated
identities"? Nicht viel anfangen konnten die Künstler dieses Jahr auch mit dem Motto der Biennale, ausgegeben von Chefkurator Alfons Hug, dem Leiter des Goethe-Instituts in Rio: "Freies Territorium". Viel kann hier hineininterpretiert werden, nur keine Linie durch die Ausstellung. Die Illusion der Biennale als Niemands-Land enttarnt sich spätestens in dem Moment, in dem die wichtigste Kunstmesse der Welt, die Art Basel, im Nachbargebäude einen luxuriösen Empfang für die wichtigsten Sammler der Welt schmeißt. Überhaupt erinnert die Biennale mehr an die Unlimited-Abteilung der Art Basel als an eine bewusst gewählte Zusammenstellung: Scheinbar konzeptlos zusammengewürfelte Großkunst reiht sich Koje an Koje. Video-Kunst wird im "Multiplex" als grottige Gegenwelt zum Malereischwerpunkt nebenan inszeniert, das Erdgeschoß wird zur Mega-Skulpturen-Arena: Ein Flugzeug aus Rattan wurde mit auf Flughäfen einkassierten Scheren bespickt, ein Tiger klammert sich an einen Elefanten, in Dutzenden Marmorschalen verdunstet Wasser, wer will, kann in ein Pagoden-Zelt schlüpfen, Blätter durch Stromstöße rauschen lassen oder sich in den rotierenden roten VW-Käfer setzen, den offiziellen österreichischen Beitrag (die "Presse" berichtete). Anders als auf der Biennale Venedig mit ihren einzelnen
Länderpavillons mischte Hug hier die nationalen Beiträge mit den von ihm
eingeladenen Künstler-Arbeiten. Eine an sich gute Idee, da sich auch die
Peripherien der Kunst-Landkarte leichter eingliedern können. Martin Sastre
aus Uruguay etwa trifft das in São Paulo traditionell zentrale Thema Süd
gegen West in einem Fantasy-Film: Zum Schluss kämpft Sastre gegen
"Monster" Matthew Barney, stellvertretend für alle dominanten US-Künstler.
Die litauischen Brüder Lukosaitis schenkten mit pseudo-dokumentarischen
Zeichnungen den Partisanen-Kämpfern ihrer Heimat ein bisher nicht
vorhandenes Bild-Gedächtnis. Nicht zufällig sind es die stilleren Arbeiten, die aus
dem auch hier schon weitgehend globalisierten Kunstbrei mit immer gleichen
Zutaten herausstechen. Dabei könnte man gerade in São Paulo auf glatte
aufwendige Video-Arbeiten, wie die Schweiz sie schickte, oder pathetischen
Ethno-Kitsch, wie Frankreich ihn lieferte, verzichten. Ganz an die Wand
gepresst musste dagegen ein feiner Überblick über afrikanische Fotografie
dahinvegetieren. Sozialkritische Werke scheinen bei Kuratoren zurzeit
völlig out zu sein. Was zählt, ist Oberfläche, Erlebnis, Täuschung.
Wenigstens historische Dimensionen hat das Projekt, das die Wiener
Akademie der bildenden Künste bei der Biennale präsentieren durfte:
Studenten begaben sich mit brasilianischen Künstlern auf die Spur von
Landschaftsmaler Thomas Ender, der 1817 mit einer österreichischen
Exkursion durch Brasilien reiste. |
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