Artikel aus profil Nr. 12/2003
Vampirisch korrekt

In ihrer Eröffnungs-Retrospektive zeigt die Albertina Edvard Munchs Werk als Synthese von Malerei und Grafik.
Es ist wohl kein Zufall, dass Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“ nicht nur zu den meistreproduzierten Werken der Moderne gehört, sondern auch zu den Lieblingsmotiven von Pubertierenden – steht es in seiner expressiven Formensprache doch für Angst, Verzweiflung und Isolation. Paradigmatisch für das Gesamtwerk Munchs, hat es in der von Antonia Hoerschelmann kuratierten Eröffnungsausstellung der Albertina einen prominenten Platz gleich am Anfang gefunden.

Unter dem zunächst sperrig wirkenden Untertitel „Thema und Variation“ wurden hier etwa 200 Arbeiten, großteils Leihgaben aus dem Munch-Museum in Oslo, mit dem Ziel zusammengestellt, die wechselseitigen Einflüsse zwischen Malerei und Grafik sichtbar zu machen. Dabei wurde die naheliegendste und schlüssigste Entscheidung getroffen, die Hängung nach jenen Themen und Motiven zu konzipieren, die Munch oft sowohl als Gemälde als auch als Grafik umgesetzt hat. Vergleiche zwischen den Medien werden damit nahe gelegt, etwa zwischen dem Schrei und seiner Lithografie-Version, die mit ihrer raschen Verbreitung durch eine Kunstzeitschrift Munch einst als eine Art Karrieresprungbrett gedient hat.

Die Themen des 1863 geborenen Norwegers kreisen – wir befinden uns schließlich im Fin de Siècle – meist um Existenzielles, um Krankheit, Tod und die Unmöglichkeit der Liebe. Während die blockhafte Verschmelzung der Liebenden in den zahlreichen Variationen des „Kusses“ innige Zweisamkeit demonstriert, entpuppt sie sich in den ebenfalls als Gemälde und Grafiken realisierten Versionen des „Vampirs“ als fatal: Schon umranken die langen roten Haare der blutsaugenden Femme fatale den Unterjochten, der sich im Dunkel des Raums auflöst. An vier Lithografien dieses Motivs können die sehr unterschiedlichen Farbwirkungen gut verglichen werden – ein experimenteller Zugang zur Druckgrafik, der auch bei den „Zwei Frauen am Strand“ sichtbar wird: Hier hat Munch Holzschnitte teils mit Linoldruck, teils mit Papierschablonen kombiniert.

Obwohl hier spannend ein umfassendes OEuvre aufbereitet und effektvoll inszeniert wurde – auf schmalen Stellwänden werden wie in einem Zoom zentrale Werke hervorgehoben –, wäre manchmal weniger doch mehr gewesen: So hätte man etwa leicht einige der ohnehin nicht sehr viel sagenden Akte entbehren können und auch einige Landschaften, die hier vereinzelt zwischen Themenkomplexen hängen, in die sie gar nicht passen. Die weniger bekannten, dafür umso interessanteren späten Selbstporträts des von Krankheit und Todesahnung gezeichneten Künstlers wurden dagegen stiefmütterlich in die hintersten Ecken verbannt. Ziemlich sicher eignen sich diese Arbeiten auch als Postermotive weniger gut.

Autor: Nina Schedlmayer


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