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Walton Ford: Fesche Stockflecken

16.06.2010 | 18:33 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Das Bestiarium des Walton Ford: Tolle Aquarelle von Geschichten zwischen Tier und Mensch. Zu sehen in der Albertina, Pfeilerhalle, bis 10.Oktober.

Ein mächtiger Affe thront wie ein Pascha auf einer Liege. Im Hintergrund der Vesuv, im Vordergrund eine antike Statue, das Tierchen scheint kunstsinnig zu sein. Derweil wird ein Papagei von einem anderen Affen sanft erdrosselt, er will wohl nur spielen, an seinem Bein eine Kette. Ein Ast voller Tauben fällt durch das Bild, ein schillernder Wust aus Federn, Eiern, Dreck. Und erst die untergehende Insel aus tasmanischen Beutelwölfen, die sich kreuz und quer ineinander und in blutende Schafe verbissen haben. Eine prächtige, grausame Tierwelt, die mit menschlichen Moralvorstellungen ihr Spiel im Detail treibt. Und all das in perfekter Aquarelltechnik und lebensgroßem Prachtformat.

Das zeitgenössische Bestiarium des amerikanischen Aquarellkünstlers Walton Ford ist eben ein echter Hingucker, füllt wunderbar hochglänzende Taschen-Prunkbände, die dann bei „Sex and the City“ den Coffeetable schmücken, und ziert dekorativ und böse zugleich die Wohnzimmer von feschen „sophisticated people“ wie Patti Smith, Mick Jagger und Designer Tom Ford. Über 20 Privatsammler haben sich jetzt für mehrere Monate von ihren Schätzen auch noch trennen müssen, damit Ford Europa erobern kann: Erst den Hamburger Bahnhof in Berlin, jetzt die Albertina und vielleicht bald schon Stargalerien wie die von Thaddaeus Ropac. Schlagzeilenträchtige Meldungen, die erst einmal skeptisch stimmen. Doch was kann die Kunst dafür?

Ein bisschen etwas zumindest. Den Trick der falschen, ein gehöriges Alter vortäuschenden Stockflecken auf den tatsächlich gewaltig großen Aquarellen hätte sich der 50-jährige Künstler, der eigentlich Filmemacher werden wollte, noch einmal überlegen sollen. Der sowieso schon historisierende stilistische Rückbezug auf die Illustrationen des berühmten US-Ornithologen John James Audubon (1785–1851) wäre völlig ausreichend. Dieser Rückbezug sorgt auch für die nötige inhaltliche Ambivalenz: Audubon war ein forschender Ausbeuter im schlechtesten Sinn des 19.Jahrhunderts, „ein Angeber, ein Lügner und, sogar gemessen an seiner Zeit, schießwütig“, beschreibt ihn Ford.

So soll Audubon etwa den Sperber in die USA eingeführt haben, der den heimischen Vögeln prompt das Futter wegfraß. Ford dreht das Geschehen ins Fantastische – auf seinem Aquarell scheinen die Vögelchen den fremden Räuber regelrecht durchzufüttern. Dieser inhaltliche Dreh gibt Fords scheinbar konservativen Bildern, die im Kern immer auf realen Geschichten beruhen, das nötig Zeitgenössische, ein kritisches Potenzial, dessen Interpretation allerdings jedem so offen wie möglich gelassen wird. Ein Ausstellung gewordenes Coffee-Table-Book, für das man sich zumindest nicht genieren muss.

 


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