01.08.2003 12:41
Kommentar der anderen: Wenn alle Brünnlein fließen
Anmerkungen zur Salzburger
Provinz-Pimperl-Posse
Die Freiheit der Kunst, sagte der dafür zuständige Landesrat,
nachdem es, weil Bürgermeister und Landeshauptmann verstockt waren und mit Klage
gedroht hatten, kurz ausgesehen hatte, als ob die Bubenbande Gelatin den langen
Schwanz wieder einziehen würde, die Freiheit der Kunst ist gewahrt geblieben.
Das war vorgestern.
Gestern, wo das Rupertinum gerichtlich eine
Entfernung der vernagelten Manneken-Pis-Verhüttelung erwirken wollte, flogen
schon wieder die Fetzen, der Bürgermeister verlangte den Rücktritt der
zuständigen Museumsdirektorin, die Klagen gegen Gelatin und Rupertinum wurden
bestätigt.
Heute ist schon wieder alles anders, der Streit anscheinend
beigelegt, die Freiheit der Kunst gewahrt geblieben, aus der Schwanz. Salzburg
hat sein Sommertheater.
Und warum? Weil man Angst hat, dass dieser nur
mit weißen Tennissocken und raufgerutschtem Unterleiberl bekleidete, sich selbst
in den Mund spritzende Plastilin-Jedermann dem Festwochenpublikum in die falsche
Kehle kommt? Weil dieser "Arc de Triomphe" für das stehen könnte, was die
Salzburger während der Festspielzeit zu schlucken haben, das gespritzte
Selbstbefriedigungstheater?
Dabei war ja erst vor wenigen Tagen zu
lesen, dass häufige Selbstbefriedigung nicht, wie zu Hofmannsthal-Zeiten
behauptet, das Rückenmark schwächt, sondern die Prostata stärkt. Macht der
Eigenstiller, wie ich den Plastilin-Terminator gerne nennen will, wegen eben
dieser vermeintlichen Rückenmarkschwäche eine Brücke nach hinten? Ist er eine
Hommage an Niki de Saint Phalle? An Hans-Christoph Buch? Oder will die
Zirkuspose einfach den anderen, ungleich größeren Zirkus kommentieren? Das
Getreidegassen-Gequetsche?
Salzburg ist ja eine Stadt der Wasserspiele.
Noch immer fahren Firmlinge nach Hellbrunn, um sich am Fürstentisch des Markus
Sittikus einen nassen Gruß zu holen. Wohl ohne zu ahnen, welch steife
Diskussionen es um den Nudel-Brunnen geben würde, sprach der Bundespräsident in
seiner Festspiele-Eröffnungsrede gar von einem "Rom des Nordens" - und Rom ist
ja bekanntlich die Stadt der Brunnen und der Nudeln.
Dabei ist das noch
eine Untertreibung. Wien ist anders, Linz lebt auf, Graz ist Kulturhauptstadt,
aber Salzburg ist das Paradies. Doch jedes Paradies braucht seine Schlange.
Nur ist die Schlange hier keineswegs das Plastilin-Zumpferl, das einen
medialen Triumph sondergleichen erlebt, sondern kommt verschlungener daher,
grenzt ab und verhindert jede differenzierte Kunstbetrachtung.
Das
Vergiftete an solchen Debatten nämlich ist, dass es nur noch Pro und Kontra
gibt, für oder gegen den Knetmasse-Zipfel, Eigenstiller oder
Goldhaubengesinnung, Brunzer oder Bücherverbrenner - und sofort ist man in der
Schlangengrube der Parteinahme, die alle Nuancierung totbeißt.
Eher
vernagelt
Dabei ist die Frage nach der Freiheit der Kunst im
Zeitalter des Privatfernsehens, wo dauernd viel schockierendere Dinge zu sehen
sind, überhaupt nicht mehr zu stellen. Gegen die totale Veröffentlichung der
Intimzonen, das Ballett des Sensationalistischen sagt ja auch niemand was. Auch
das in diversen Internetforen häufig zu lesende Argument der verstörten Kinder
ist fadenscheinig. Wer von diesem Triumphbogen an die Schwanz-Gesellschaft, der
das martialisch Phallische doch läppisch macht, tatsächlich schockiert sein
kann, muss auch sonst eher vernagelt leben.
Es ist ein Glücksfall für
die Kunst, wenn sie derartige Beachtung findet. Traurig dabei ist nur, dass die
Mechanismen dafür nach wie vor so simpel sind, bei der einfachsten Stange
bleiben, keine Lanze für nichts brechen, die Kunst in dieser Schlangengrube
immer nur Vorwand für Gesinnung ist. Dass mit Selbstbepinkelung immer noch Stadt
und Skandal zu machen ist, spricht nicht unbedingt gegen den Gelatin-Pimmel, der
das alles ja irgendwie ironisch zu bespritzen scheint.
Ob es dieselbe
Aufregung aber auch gegeben hätte, wenn der Eigenstiller nicht am
Max-Reinhardt-Platz vor dem kleinen Festspielhaus, sondern vor einer
Autobahnraststation oder einem McDonald's aufgestellt worden wäre, wo man vor
nicht allzu langer Zeit noch mit der Morgenlatte Werbung gemacht hat, die zwei
Bögen der Triumph-Skulptur das Firmenlogo elegant symbolisieren würden, sei
ebenso dahingestellt wie die Frage nach ihrer Wirkung im Museum neben Werken von
zum Beispiel Jeff Koons. (DER STANDARD, Printausgabe vom 1.8.2003)