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Hüpfen, Armwedeln, Kunstsingen

Traurige Clownerien im Deutschen Pavillon: Die Aktionen von Tino Sehgal stehlen dem Maler Thomas Scheibitz in Venedig die Schau

von Uta Baier

Es wird in diesem Jahr viel Wind in den Pavillons und auf der Biennale in Venedig gemacht. Offenbar waren einige Künstler vom Publikumserfolg des deutschen Beitrages auf der 50. Biennale vor zwei Jahren begeistert und wollten nun auch ein wenig von der Gunst des Publikums durch Windmach-Maschinen abbekommen. Julian Heynen, Kurator des diesjährigen und des vergangenen deutschen Biennalebeitrages, hatte die Windmaschine nach einer Idee des schon länger verstorbenen Künstlers Martin Kippenberger im Pavillonboden versenkt und das Loch mit einem handelsüblichen U-Bahn-Gitter abdecken lassen. Die Röcke der Frauen konnten filmreif flattern.

Dabei war es doch nur die wahnsinnige Hitze, die die Besucher ein wenig länger als nötig über der eher schlichten deutschen Installation verharren ließ. In diesem Jahr erfreuen die Windmaschinen (im russischen, französischen und italienischen Pavillon) die Besucher weniger. Denn Venedig ist kühl und manchmal sogar stürmisch.

Das Loch im Boden des deutschen Pavillons ist wieder geschlossen. In diesem Jahr wird hier im Takt eines kleinen Singsangs gehüpft, fesch mit den Armen gewedelt und freundlich-atemlos zur Textzeile "This is so contemporary" gesungen. Was durchaus Eindruck macht, denn jeder Besucher, der den Pavillon betritt, wird einzeln umhüpft und erst wieder freigegeben, wenn der Text so oft wiederholt ist, wie es der Künstler Tino Sehgal, 29 Jahre alt und in Berlin lebend, vorschreibt. Pro Besucher sind das etwa 20 Hüpfer samt 20 Armwedlern und fünf mal drei "This is so contemporary"-Gesänge.

Der Besucher, so empfangen, staunt nicht schlecht, fühlt sich aber sehr schnell von dieser allzu pubertär-agitierenden, allzu durchsichtigen Inszenierung belästigt. Man wüßte trotzdem gern ein wenig mehr über Werk und Künstler. Doch leider dürfen die hüpfenden Akteure nicht mit dem Publikum sprechen, sonst könnte man möglicherweise erfahren, daß sie Hartz IV-Empfänger und Vorzeige-Ein-Euro-Jobber sind, denen jede Arbeit Recht ist. Zwar soll hier scheinbar über das große Thema, was wohl zeitgenössisch (oder modern) in der Kunst und auch im Leben sein könnte, nachgedacht werden. Doch eigentlich wird nur vorgeführt, daß man alles für Geld kaufen kann - auch auf Befehl hüpfende, sinnlose Sätze ausstoßende Menschen. Wo Würde war, ist nun Kunst, wie sie Tino Sehgal versteht.

Am Ende sagen die Gekauften, wie immer bei Sehgal, brav noch einmal Namen des Werkes, den Namen und die Galerie des Künstlers, in deren Besitz sich die Idee der Arbeit befindet, auf. Fertig ist die traurige Kunst-Clownerie Teil eins. Nach dem kleinen Tänzchen um den Besucher folgt - links um die Ecke - mit Teil zwei noch ein wenig deutsch-grüblerische Ernsthaftigkeit: Wenn der Besucher will, kann er mit zwei weiteren Sehgal-Mitarbeitern über Kapitalismus und Marktwirtschaft diskutieren. In einem separaten, leeren Raum, unter vier Augen und total tiefsinnig - bis der nächste Besucher kommt.

Dann steht der Besucher allein mit seinen Überlegungen zum Kapitalismus und hat Zeit für Thomas Scheibitz, den zweiten Künstler im deutschen Pavillon. Doch natürlich stiehlt der Kunst-Clown Sehgal dem traditionell malenden und Objekte ausstellenden Thomas Scheibitz komplett die Schau. Seine großen, bunten geometrischen Körper, einer Stadtvision ähnlich, stören beim Hüpfen im Eingangsraum.

Im Idealfall nimmt man sie als bunte Kulissen wahr. Von Scheibitz' extra für die Biennale entstandenen Bildern im rechten Nebenraum lenkt der Singsang und die Neugier auf die Verwirrung der Neu-Umhüpften ab.

Wer in diesem Jahr vom Deutschen Beitrag in Venedig spricht, meint den ernsthaften jungen Mann Tino Sehgal, der vorzuführen versucht, daß sein Volkswirtschaftsstudium, das er zusammen mit einer Tanzausbildung absolvierte, nicht umsonst war.

Artikel erschienen am Sam, 11. Juni 2005

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