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Das Schönste ist die Kühle am GipfelEin Rundgang über die 51. Biennale von Venedig zeigt: Kunst ist der neue Glamour und populärer denn je. Doch gerade weil junge Künstler auf soviel Begeisterung stoßen, sollten sie mehr wagen, meint Ulf PoschardtAuf einmal war alles ganz einfach. Vorn stand der ernste Mann und
drehte versunken und konzentriert an den kleinen Reglern seines Computers.
Nur kurz blickte er auf, um die Wirkung seiner akustischen
Versuchsanordnungen zu kontrollieren. Sein Assistent versuchte, es der
Stoik seines Herrn gleichzutun. Man spürte, wie sehr Meister und Geselle
jene Töne und Rhythmen aufwühlten, die sie den Apparaten entlockten.
Auf der Tanzfläche tobten die Menschen durch die langsam kühler
werdende Nacht - die Augen weit aufgerissen oder verträumt geschlossen,
die Lippen leicht geöffnet, die Hände in der Luft. Der Wind vom Meer
streichelte die Fingerkuppen jener, die sich gleichsam in den Himmel
bohren wollten. Die Biennale in Venedig war gerade zwei Tage alt, als Florian Hütters
Auftritt einen ersten und - leider - seltenen Höhepunkt jenes
zweijährlichen Länderkampfes im Bereich der bildenden Kunst bescherte.
Florian Hütter ist einer der beiden Köpfe hinter der Band Kraftwerk, deren
Bedeutung längst alle Grenzen von Pop und Musik hinter sich gelassen hat.
Die Musiker sind zentrale Figuren der Nachkriegsmoderne und haben einen
Status als Klassiker errungen, der nicht nur unangefochten ist, sondern
mit jedem ihrer mittlerweile seltenen Auftritte noch eindrücklicher
bewiesen wird: Sie sind, so mußte an diesem Abend auch dem letzten
Pop-Banausen klar werden, mindestens so wichtig wie Marcel Duchamp.
Als einer ihrer Hits, "The Robots", im neuen Remix jene restlos
begeisterte Menge aus Künstlern, Galeristen und Sammlern erfaßte, dämmerte
auch den durch Alkohol und gute Laune benebelten Intellektuellen, daß
Kraftwerk etwas gelungen ist, was in der bildenden Kunst im Augenblick
schmerzhaft vermißt wird: eine uneingeholte Modernität, die auch nach 30
Jahren unwidersprochen bleibt. Pop ist Klassik geworden und die Kunst Pop.
Im Seichten tummelt sich einiges bei dieser Biennale, und so wundert es
nicht, daß es eine 1968 gegründete Band aus Deutschland war, die vom alten
Versprechen der Avantgarde kündete, daß Ästhetik schockhaft das Wesen
einer Zeit definieren wie vorformen kann und muß. Es war ein eisiger Blitz
von Fortschrittlichkeit, der strahlend einen Supermarkt an Ideen und
Konzepten erleuchtete - ohne allem Geist spenden zu können. Ein entscheidender Paradigmawechsel hat stattgefunden. Zeitgenössische
Kunst ist im Mainstream angekommen, weil die Zahl der Sammler und
Sammlungen, der Museen und Galerien insbesondere in Europa und den USA die
alte Vorstellung von der elitären Kunstwelt aufgebrochen hat. Der "Vanity
Fair"-Autor Bob Colacello hat recht, wenn er in der "Welt am Sonntag"
behauptet, daß Kunst der neue Glamour sei und den Designer- und Model-Hype
längst abgelöst habe. Florian Illies, Herausgeber der Zeitschrift "Monopol", verkündet stolz
im Editorial der jüngsten Ausgabe, daß zeitgenössische Kunst zur
Leitkultur geworden sei: "Noch nie sind im deutschsprachigen Raum so viele
Menschen auf eine Kunstmesse gegangen wie im Jahr 2004, noch nie ist auf
Auktionen für Gemälde junger Maler in der Breite so viel gezahlt worden
wie im Moment." Statistiken und Auktionsbilanzen geben Illies recht. Doch
damit fangen die Probleme an. Die in Venedig ausgestellte Kunst zeigte , daß sie als Objekt der
Begierde des Geschmacksbürgertums gut funktioniert, häufig aber kaum den
Ansprüchen ernsthafter Auseinandersetzung, noch einer tiefgrundierenden
Zeitgenossenschaft genügt. Zeitgenössische Kunst ist zum Stahlbad
geworden, buntscheckiger, als es sich Theodor W. Adorno je hätte träumen
lassen. Die deutsche Kunst zum Beispiel in Venedig: Thomas Schütte hat als
junger Klassiker nicht unverdient den Preis für seine elegante, im besten
Sinne traditionelle Arbeit bekommen. Andere Künstler wie der dekorative
Melancholiker Matthias Weischer oder der einst brillante Thomas Ruff
wirkten früh vergreist. Die Begeisterung des Publikums für deutsche Kunst
konnte dies nicht stoppen. Überall war es zu hören: Berlin ist derzeit die
aufregendste Kunstmetropole der Welt. Das darf uns freuen, aber jene
Künstler, die diesem Anspruch gerecht werden, waren in Venedig - bis auf
eine Ausnahme - nicht zu sehen. Andreas Slominski, Kai Althoff oder
Carsten Nicolai fehlten ebenso wie Jonathan Meese und Thomas Demandt.
Womit man beim deutschen Pavillon wäre. Ein Reinfall - mit Ansage. Die
artige Begeisterung im Vorfeld über den jungen Tino Sehgal (oder "Tanja
Senegal", wie ihn einige Kunstkritiker abschätzig titulierten) verhieß
nichts Gutes. Bravo, hörte man da, Kunst, die sich nicht materialisieren
lasse und nicht sammelbar sei und somit ein Anschlag auf das Wesen des
Kunstbetriebes. Kulturjournalisten jubelten über einen alten Hut der
Kunstgeschichte. Richtig peinlich wurde es erst, als man den Pavillon
betrat und dort aufgescheuchte Kunstwärter tanzen und rufen sah: "This is
so contemporary." Ein Satz wie ein One-Hit-Wonder, alle summten ihn in
jenen ersten Tagen der Biennale. Kunst war Pop: Sie war ebenso einfältig,
gefallsüchtig und schlicht wie jene Dinge, die einem im Autoradio
entgegendudeln und beim ersten Mal ein Schmunzeln, beim zweiten Mal
Gleichgültigkeit und ab dem dritten Mal die Wahl eines anderen Senders
nach sich ziehen. Nur: Bei Tino Sehgal nervte es von Anfang an. Seinem Witz fehlen, anders als bei Sigmar Polke, Martin Kippenberger
und zuletzt Andreas Slominski, all jene Abgründe, die Witz in Deutschland
seit 1945 haben sollte. Sehgal präsentiert die Deutschen als heitere
Versager. Ein Land, das sich selbst nicht ernst nehmen kann (oder will)
und dabei zu Platitüden neigt. Die Bilder von Thomas Scheibitz paßten in
ihrer dekorativen Sturheit gut dazu. Gerettet hat die Deutschen John Bock. Ausgerechnet eine
Mythen-Recycling-Maschine, die im weltweiten Kunstmarketing scheinbar gut
jenem Image entspricht, das sich der Rest der Welt vom
Neo-Hippie-Deutschland macht. Theorie und Rasierschaum spuckend, sprang
John Bock über wüst zusammengezimmerte Bühnen und durch das ebenso
verstörte wie amüsierte Publikum. Wohl wissend, daß es kein größeres
Klischee als das des Anarchischen in der Kunst gibt, spielte John Bock mit
der Aura der Anarchie. Feinsinnig und originell zitierte er in seiner
Materialschlacht die Geschichte der Aktionskunst, plünderte die
Theorie-Semantik des 20. Jahrhunderts und dynamisierte diesen Mix mit
einer physischen Präsenz und Intensität, die Kunst jene Verbindlichkeit
gibt, die sie in ihrer neuen Rolle als Popkultur verlieren könnte.
Die stehenden Ovationen für Bock galten einem komplexen Werk, das
obwohl leicht historisierend angelegt, in Geschwindigkeit und Dichte ganz
zeitgenössisch war. Wer das Gute sieht, würdigt das Mittelmäßige
gelassener. Die Verweigerung der Innerlichkeitsfalle erledigte Bock
elegant. Andere setzten auf den Effekt absoluter Intimität. Allen voran
der japanische Pavillon von Ishiuchi Miyako, die Bilder ihrer steinalten
Mutter und deren Alltagsgegenstände porträtierte. Ergreifend ist dies,
aber auch etwas unfein. Die Ausbeutung von Nähe kennt hier kaum Grenzen.
Auch die Innerlichkeit, welche die Kunst auf der Biennale konstruierte,
ist reiner Pop: phrasenhaft, klischeenah und kraftvoll. Subtil ist sie
selten. Ob im dänischen oder im serbischen Pavillon, im Arsenal oder im
multinationalen italienischen Pavillon: Die Videos und Diaserien über
Liebe, Glaube, Hoffnung, Erinnerung, Sehnsucht oder Hass sind in ihrer
Zartheit ebenso rührend wie trivial. Auch im griechischen Pavillon werden Bilderfluten mehr weitergegeben
als konturiert. Verglichen mit der Souveränität vieler Musikvideos wirkt
das allzu willige Sampeln von Bildern und Tönen wie das Hissen einer
weißen Flagge inmitten einer wie noch nie auf Bildern basierenden
Weltsicht. Es ist eine duldende Nicht-Gestaltung der Bilderfluten, die sich da auf
den Besucher ergießt. Nur: Surfen will auf diesen Flutwellen niemand, dazu
sind sie nicht poetisch genug. Und so scheint es, als ob Pop ewige Werte
konstruiert, während die Kunst jene Permanenz demoliert, die man ihr
gemeinhin durch Museen und Kunstgeschichte andichtet. Verstärkt wurde der
Effekt durch das Gefällige des Nicht-Trivialen. Der Erfolg der Kunst
bringt die Popularisierung, damit aber auch die Gefahr der
Verwechselbarkeit mit sich. Die Arbeiten von Ed Ruscha, der den
amerikanischen Pavillon bestückte, zementieren jene Gefälligkeit, die seit
der Pop-art Merkmal der Avantgarde sein kann. Ernsthaftigkeit, die
weiterführt, sieht anders aus. Dennoch: ein wunderschöner Pavillon.
Ähnlich der britische von Gilbert & George, der französische von
Anne Messager. Es war, als hätte ein Museumsdirektor für moderne Kunst die
Biennale kuratiert. Altbekannte Positionen wurden besonders prominent
vorgestellt, während man suchen mußte, um kleine, feine, neue und
überraschende Arbeiten zu finden. Tacita Dean zum Beispiel schuf so eine. Sie filmte die Spiegelungen des
Berliner Himmels wie des Berliner Doms am Palast der Republik. Die
verwackelten, halbscharfen Bilder wirkten wie animierte Ölgemälde voller
Rätsel und Unsicherheiten - ohne den Pomp und das Laute, ohne das
Selbstgewisse vieler Künstler, verkörpert durch die Videosäule des
Pathos-Routiniers Fabrizio Plessi, dessen digitaler Wasserfall am Eingang
der Biennale feinsinnige Menschen bis zur Migräne reizen könnte. Ein Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes gelingt Hans Schabus mit dem
von Max Hollein kuratierten österreichischen Beitrag. Statt des Pavillons
steht da ein riesiger Berg, der als Synthese von Naturästhetik,
Architektur und Kunst jenen Mut verkörpert, den Freiheit und Phantasie
herausfordern. Fast symptomatisch weist diese Arbeit über den Horizont der
anderen Kunstwerke in Venedig hinaus. Auf dem Gipfel des Berges gibt eine
Luke den Blick auf den Himmel frei, und erst in jenem Moment spürt der
eifrige Biennale-Besucher, wie gehemmt und zaudernd der Gestus der meisten
anderen Arbeiten war. Oben auf dem Berg sieht man, was hinter der Biennale passiert. So kann
die Kunst Überblick verschaffen. Das Schönste aber ist die Kühle am
Gipfel. Die Luft kündet vom Triumph der Höhe. Von außen wie ein
Stealthbomber, von innen wie eine Kathedrale, vollendet sich die Spannung
des Werkes in der Radikalisierung von Form und Inhalt. Mehrere
Bedeutungsebenen bieten sich an: von der Topographie Österreichs über
deren Repräsentationssehnsüchte bis hin zum Traum aller größenwahnsinnigen
Avantgardisten, weltschöpferisch zu agieren. Soviel Mut und Zutrauen auch in jüngere Künstler wie den 34jährigen
Wiener hätte man sich mehr gewünscht. Für eine Leistungsshow der
Arrivierten und der Frühvergreisten ist Venedig zu schade. Auch als
elitäre Version des Grand Prix d'Eurovision verdient sie keine Zukunft.
Die Zeit meint es gut mit der Kunst, Grund genug, der Begeisterung mehr,
viel mehr zuzumuten. Gerade im bibbernden Herzen Europas sind große
Geister zur Mitarbeit am Laboratorium der Moderne verpflichtet. Artikel erschienen am 19. Juni 2005 |
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