Retten, was noch zu retten ist
Ars Electronica. Das Linzer Zukunftsfestival sucht Lösungen für akute Probleme: „Repair“.
Clemens Panagl Linz (SN). Nicht nur Zukunftsvisionäre können sich irren. Auch, wenn man sich bei der Ars Electronica auf die Suche nach den künstlerischen Utopien zur Welt von morgen begibt, sind Irrwege nicht ausgeschlossen. Das liegt nicht an der Kunst, sondern am neuen, temporären Ausstellungsort. Erst- und einmalig findet das „Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft“ heuer in der einstigen Linzer Tabakfabrik statt.
Und das Gelände ist riesig. „Wenn sie alles sehen wollen, dann sind sie ungefähr sechs Stunden unterwegs“, prophezeite Ars-Electronica-Leiter Gerfried Stocker beim Presserundgang am Donnerstag. Der temporäre Umzug passt aber ins Konzept des Zukunftsfestivals. Das Thema heißt „Repair“ und untersucht, was am gegenwärtigen Zustand der Welt zu retten ist. Um Ideen zwischen Recycling und Neuerfindung geht es in den Ausstellungen, Symposien, Konferenzen und Vorlesungen.
Und die Ars Electronica selbst betreibt am Beispiel der Tabakfabrik gleichsam Standort-Recycling: Das Areal wurde von der Stadt Linz gekauft, derzeit werden auch Verwendungsmöglichkeiten für Kultureinrichtungen geprüft.
Recycelt wird auch in den Hallen: In einem Stockwerk hat das Designerkollektiv Platform21 sein „Reparaturmanifest“ ausgehängt und zeigt vor, wie aus zerbrochenen Tellern und löchrigen Pullovern mit Do-it-yourself-Reparaturen wieder gebrauchsfähige Gegenstände werden, die ihre Flickspuren nicht verstecken, sondern hervorkehren.
In der Ausstellung „Cyberarts“, einem Herzstück des Festivals, sind ausgewählte Arbeiten aus den heuer 3083 Einreichungen zum Prix Ars Electronica zu sehen. Für die Teilnehmer ist das Festivalmotto keine Vorgabe. Der britische Künstler Thomas Thwaites hat sich in seinem „Toaster Project“ dennoch originell mit der Wegwerfgesellschaft und der Utopie einer neuen Do-it-yourself-Kultur auseinandergesetzt. Er hat versucht, einen Billig-Toaster selbst nachzubauen – vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Neun Monate lang und 1500 Euro teuer wurde sein Gerät. Die Stationen des Selbstversuchs präsentiert er als Installation. Thwaites: „Mir ging es auch darum, die romantischen Ideale einer Rückkehr zum Ursprung zu überprüfen.“
US-Künstler Jonathan Schipper hat für sein Projekt „Measuring Angst“ ein kompliziertes hydraulisches Vehikel entworfen, das eine Bierflasche nicht nur in Zeitlupe an der Wand zerschellen lässt, sondern sie danach im Rückwärtsgang wieder zusammenfügt. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der das Zurückspulen und Wiederholen von Ereignissen selbstverständlich ist. Hinter dem heimeligen Namen, den die Koreanerin Hee-Seon Kim ihrer Videoinstallation gegeben hat, verbirgt sich Kritik am sozialen Voyeurismus. Für ihr Projekt „Home“ hat sie in Fenster von Wohnungen gefilmt. Wer ein Fenster durch ein Fernrohr anvisiert, sieht, was drinnen vor sich geht.
Ikea-Lampen, die von seltsamen Krankheiten befallen werden, ein Drucker, der Pflanzensamen auf einen Nährboden platziert, um eine ideale Stadt wachsen zu lassen, künstlerisch veränderte DNA-Abdrücke: Die Bandbreite der (heuer trotz des immensen Raumangebots kleiner ausgefallenen) „Cyberarts“ ist groß und reicht von technikverliebten Spielereien bis zu radikalen Selbstversuchen. Die Goldene Nica, Sparte „Hybrid Art“, ging heuer an den Künstler Stelarc: Er lässt sich ein künstliches Ohr in seinen Arm implantieren.
Humaner präsentiert sich das Projekt „The EyeWriter“: Sechs US-Entwickler haben für einen Graffitikünstler, der nach einer ALS-Erkrankung nur mehr seine Augen bewegen kann, eine Cyberbrille entwickelt, über die er mittels Augensteuerung weiter Graffitis entwerfen kann: Goldene Nica in der Sparte „Interactive Art“.