Salzburger Nachrichten am 12. Juni 2006 - Bereich: Kultur
Süd-Seh-Reise in das steirische Weinland Günter-Brus-Personale im
Kulturhaus St. Ulrich im Greith - Weithin unbekannte Arbeiten aus
steirischen Sammlungen
Martin Behr St. Ulrich im Greith (SN). Drei Bäume, ein Haus, eine Katze, ein Tisch
und eine an Paul Gauguins Südsee-Bilder erinnernde Frau, ein Kompass, ein
Selbstporträt und eine Flasche: für das Plakat zur Ausstellung
"Süd-Seh-Reise" hat der Künstler Günther Brus Teile der ihn umgebenden
Welt kombiniert. In dem für ihn typischen Stil unternimmt der Zeichner den
Versuch einer (poesievollen) Erdung, die dem Wesen von Günter Brus
entspricht: Aufbruch, Selbstschau, Internationalität und
Heimatverbundenheit im positiven Sinn. Die Ausstellung findet nicht in einer Metropole, in keiner Hauptstadt,
sondern in der Provinz, im südsteirischen Kulturhaus St. Ulrich im Greith
statt. Hier, in den Ausläufern des Weinlandes, inmitten des vom Autor
Gerhard Roth beschriebenen "Stillen Ozeans" präsentiert der 1938 in
Ardning geborene Ex-Aktionist und Bilddichter Werke aus steirischen
Sammlungen, die sonst der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht zugänglich
sind. Von der radikalen "Körperanalyse" der 60er Jahre bis zu den in die
Gegenwart reichenden surrealen (Alb-)Traumskizzen eines von Spontaneität
und Schaffenskraft geprägten Tagträumers: Günter Brus, der in seinen
Aktionen die Grenzen der Selbstverstümmelung (Aktion Zerreißprobe 1970)
überschritten hat, findet im Medium Zeichnung eine adäquate Bühne für
seinen Ideenreichtum. Bild und Text gehen dabei stets eine Einheit ein.
"Wahrscheinlich ist der Mensch ein Störungsrest des
Schöpfungsgewitters" schreibt er auf eine 1990 entstandene Zeichnung, die
einen Zwitter aus Skelett und Lebenden zeigt. Mit Pastell- und Ölkreide
gezeichnet, erinnern die Werke an Tagebücher eines Rastlosen: private und
andere Mythologien tummeln sich in dem farbenreichen Bildkosmos, der sich
dem Grauen, dem Geheimnis stärker als der Lieblichkeit verbunden fühlt.
"Allmählich fand ich heraus, Brus zeichnet Denken", schreibt der
Brus-Weggefährte Gerhard Roth im Katalogtext. Und: "Die Zeichnungen
entstehen aus einem Zusammenspiel von Zufall und Erinnerung." Die Sommerausstellung erlaubt einige Entdeckungen: auf der
großformatigen Leinwand, die den Titel "Barock" trägt und im Jahr 1996
entstanden ist, kombiniert Günter Brus etwa seine Kopfwesen mit einer aus
seiner Frühzeit bekannten gestischen Heftigkeit. Das Bildgeviert erscheint
als Kampfplatz der Emotionen. In einer aus dem Jahr 1979 stammenden irrwitzigen Hommage an den
Künstler Johann Heinrich Füssli eröffnet sich ein Pandämonium an Tier-,
Fabel- und Zauberwesen. Als Beispiel für eine gelungene Bilddichtung ist
die mehrteilige Serie "Nachtquartett" zu nennen, deren
Vergänglichkeitsmetaphern und dunkle Bildzaubereien eine gewisse
Verwandtschaft zu Alfred Kubin aufweisen. Metamorphosen, skurrile und
verstörende Veränderungen und Verwandlungen also, sind ein fixer
Bestandteil in der Bildsprache von Günter Brus. "Kunst ist Besessenheit. Jeden Tag 25 Stunden arbeiten", erklärt der
Künstler, der sich gerne im Stadium der Gerührtheit - "wenn etwas am
Rückgrat herunterrieselt" - ins Atelier begibt. Der Brus'sche
Idealzustand, um gute Kunst zu schaffen? "Wenn der Leib bebt, dass die
Muskeln flattern - dass ich ein Signallicht eines Fernstern bin." In einem Raum ist schlaglichtartig die aktionistische Phase des
Künstlers durch Plakate und Fotoarbeiten dokumentiert, Selbstbemalungen
etwa, die Pionier-Aktion "Ana" oder diverse Selbstverstümmelungen:
Annäherungen an die eigene Schmerzgrenze, die zugleich auch ein Aufschrei
gegen eine religiös-repressive Bürgerlichkeit waren. Dieser Kampf geht in
den Zeichnungen weiter (Bis 6. 8.). |