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Linz09 geht zu Ende: Mit zufriedenen Intendanten, positiven Nächtigungszahlen und dem Wunsch nach Nachhaltigkeit

"Die Erben von Linz09 können überall sein"

Ulrich Fuchs (l.), stellvertretender Intendant, und Intendant Martin Heller sind sich rückblickend einig: Linz09 glich einem kulturellen Ausnahmezustand. Foto: J. Urbanek

Ulrich Fuchs (l.), stellvertretender Intendant, und Intendant Martin Heller sind sich rückblickend einig: Linz09 glich einem kulturellen Ausnahmezustand. Foto: J. Urbanek

Von Julia Urbanek

Aufzählung Das Intendanten-Team Martin Heller und Ulrich Fuchs im "WZ"-Gespräch.
Aufzählung Über die Zukunft, Katzenjammer und Endzeitstimmung.

Aufzählung Linz09: Jahr der Feuerwerke

"Wiener Zeitung": In wenigen Wochen geht Linz09 zu Ende. Welche Gefühle herrschen bei Ihnen vor: Wehmut oder Erleichterung, Abschiedsschmerz oder Aufbruchsstimmung?

Martin Heller: Mein Gefühl ist das einer neugierigen Zufriedenheit. Ich bin sehr zufrieden, wie es gelaufen ist. Und natürlich neugierig, wie es jetzt weiterläuft ohne uns. Ich gehe davon aus, dass Linz höchst interessante Zeiten bevorstehen.

Ulrich Fuchs: Wir wollten immer sichern, dass nicht zu früh eine Endzeitstimmung einkehrt. Es ist eine Notwendigkeit, nicht nachzulassen oder einen auf Schlussverkauf zu machen. Man muss bis zum letzten Tag professionell arbeiten, wie sich das gehört. Es gibt mit "Maria Stuart" am 8. Dezember auch noch eine Premiere, es ist also noch einmal ein Anfang.

Herr Heller, als wir im Jänner gesprochen haben, wollten Sie sich nicht auf ein Motto festlegen lassen. Das Fehlen eines Überbegriffs für das Kultur-Hauptstadtjahr wurde oft kritisiert. Wie sieht dieser Überbegriff in der Rückschau aus?

Heller: Für mich waren es drei Momente: Offenheit, Internationalität und Neugierde. Wir haben viele Erfindungen in die Welt gesetzt, neue Formate wurden geschaffen, neue Orte, neue Ideen. Die Internationalität ist in vielen Reaktionen, die uns erreichen, voll angekommen. Die Stadt hat entdeckt, dass es interessant ist, wenn viele Sprachen auf der Straße gesprochen werden und das Internationale als Lust empfunden. Wir haben ein Publikum erlebt, das so neugierig ist, wie wir es uns nicht haben vorstellen können.

Fuchs: Das Prinzip "365 Tage volles Programm" hat für mich gut funktioniert, in Bezug auf die Linzer als auch auf ausländische Gäste. Wir sagten: "Wann immer Sie nach Linz kommen wollen, es ist was los". Das war ein Unterschied zu anderen Kulturhauptstädten, die oft mit Saisons und Pausen gearbeitet haben. Wir wollten Linz so positionieren, dass man auch, wenn man im Jänner oder November kommt, etwas zu sehen bekommt.

Anfang des Jahres waren noch Absagen und Streitereien mit der freien Szene das große Thema. Mittlerweile scheinen sich die Wogen geglättet zu haben. Wie entwickelte sich der Kontakt zu den lokalen Rebellen?

Heller: Für uns ist die Zahl der nicht zustande gekommenen Projekte durchaus im Rahmen. Eigentlich verschwindend klein angesichts der Dinge, die wir auf die Welt gebracht haben. Was die freie Szene betrifft, hat sich für uns vieles relativiert und bestätigt: Wir haben mit vielen wunderbar gearbeitet – Linzer Bands, Kollektive, Initiativen haben ihren Wirkungskreis gefunden und sich profilieren können. Auf der anderen Seite hat sich etwas bestätigt: Wir haben nach wie vor eine große Distanz gegenüber den allzu programmatischen Selbststilisierungen dieser freien Szene, das kommt aus einer anderen Zeit.

Wir haben etwa mit der Stadtwerkstatt außer ein paar Konzerten nichts zustande gebracht, weil keine guten Projekte da waren. Aber siehe da: die wirkliche Stadtwerkstatt ist in Wels. Was das Medienkulturhaus Wels hingelegt hat, das

hätte ich mir von der

Stadtwerkstatt gewünscht. Aber wir nehmen zur Kenntnis, dass die kreativen Kräfte dort unendlich viel größer und zeitgemäßer waren.

Sie haben in Linz vieles in Gang gesetzt, wen setzen Sie als Ihre Erben ein? Wer soll ab 2010 Ihren Nachlass weiterführen?

Heller: Es ist ein Gesamtprojekt und die Erben können überall sein. Das kann jemand sein, der seinem Ärger Ausdruck gibt, weil im Sommer 2010 nichts läuft, und selbst die Initiative ergreift, das können Tourismus oder Politiker sein. Man kann das nicht kalkulieren.

Fuchs: Die Idee der Triennale von Lentos, OK und Landesgalerie ist ein Erbe von Linz09, der Freundeskreis des Kepler-Salons ebenso. Wir haben eine ganze Reihe von Übergaben gehabt, da war auch der Tourismus dabei. Diese Prozesse sind sorgsam geplant.

Planung und die Beibehaltung eines Geistes sind

nun auch notwendig, denn 2010 wird es wesentlich

weniger finanzielle Unterstützung für Kultur und kein Linz09-Team mehr geben.

Heller: Es war ein Ausnahmezustand, ganz klar. Man muss das auch nicht schönreden. Es wird Katzenjammer geben, es wird viele Dinge nicht mehr geben. Aber der Geist, dass Linz selbstbewusst und stolz geworden ist auf die Stadt – dass so etwas weitergeht, kostet kein Geld, das ist eine Frage vom Kopf. Ich habe da ein wirklich gutes Gefühl und bin neugierig.

Fuchs: Klar, wenn man einmal in der Championsleague gespielt hat, möchte man auch weiterhin in der Championsleague spielen – und für die Voraussetzungen dafür wollen wir noch Sorge tragen.

Zur Person

Martin Heller (56) stammt aus Basel. Er studierte dort Kunstgeschichte, Ethnologie und Europäische Volkskunde. Ab 1990 war er
Direktor des Museums für Gestaltung Zürich, ab 1997 leitete er zudem das Museum Bellerive Zürich.

Der selbstständige Kulturunternehmer zeichnete bereits als künstlerischer Leiter für die Schweizerischen Landesausstellung Expo.02. und die Steuerung der Tiroler Landesausstellung 2005 "Die Zukunft der Natur" verantwortlich. Martin Heller
ist der Intendant des diesjährigen Kultur-Hauptstadtjahrs Linz09.

Ulrich Fuchs (57) wurde in Neustadt/Waldnaab (Deutschland) geboren. Der Literaturprofessor studierte Germanistik, Politik, Geschichte, Soziologie und Theaterwissenschaft. Bis 2005 lehrte er an der Universität Bremen. Dort war er auch Leiter des Studiengangs Musik und Kulturmanagement. Parallel dazu arbeitete er als Dramaturg am Bremer Theater und unterrichtete an der Uni Mainz. Seit 2001 lehrt er an der Universite d’Avignon (Frankreich). Fuchs ist stellvertretender Intendant von Linz09 und Leiter der Projektentwicklung.

Printausgabe vom Donnerstag, 03. Dezember 2009

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