Salzburger Nachrichten am 30. November 2002 - Bereich: wochenende
Ein Leben mit Fotografie

Otto Breicha - der Gründungsdirektor des Rupertinums - feiert heuer seinen 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass präsentiert die Österreichische Fotogalerie Breichas unbekanntes fotografisches Werk.

MARGIT ZUCKRIEGL

Als das Rupertinum in Salzburg vor 20 Jahren der Öffentlichkeit übergeben wurde, war damit nicht nur ein Wunsch von Friedrich Welz nach einer Sammlung und Ausstellungsmöglichkeit für moderne Kunst in Erfüllung gegangen, sondern auch ein lang ersehntes Projekt von Otto Breicha Wirklichkeit geworden, nämlich die Etablierung einer Sammlung von zeitgenössischer österreichischer Fotografie an einem zentralen Ort.

Das Rupertinum beherbergt damit auf Breichas Betreiben hin die nationale Sammlung von fotografischen Kunstwerken, die unter Beteiligung des Bundes kontinuierlich mit Foto-Ankäufen bestückt wird und Ausstellungen im In- und Ausland produziert und für wissenschaftliche Recherchen zur Verfü-gung steht.

Mehr als 200 Künstlerpersönlichkeiten der österreichischen Kunstszene, hauptsächlich aus der Zeit nach dem Ende des 2. Weltkriegs, sind hier mit beträchtlichen Werkskonvoluten präsent. Otto Breicha allerdings ist als Fotograf in der Sammlung nicht vertreten, sagt er doch von sich selbst: "Ich bin kein Fotograf." Seine Tätigkeit als Fotograf ist bisher unbeachtet geblieben - der "unbekannte" Fotograf Otto Breicha wird nun erstmals mit einer Auswahl seiner Porträts vorgestellt.

Breicha sieht sich selbst nicht als Künstler und verbindet mit seiner Fotografie pragmatische Anliegen, ist sie doch aus einer speziellen Situation heraus entstanden: Breicha war seit der Gründung der "Gesellschaft für Literatur" im Jahre 1961 zehn Jahre lang deren stellvertretender Leiter, gleichzeitig Kunstkritiker, Herausgeber der "protokolle" und Ausstellungsmacher. Im Zusammenhang dieser Tätigkeiten im Umkreis von Literaten, Übersetzern, bildenden Künstlern, Architekten, Komponisten war es immer wieder notwendig, ein Porträtfoto von den Künstlern zur Hand zu haben oder Kunstwerke im Atelier fotografieren zu müssen.

Den Werdegang von Künstlern verfolgt

Gewissermaßen wie ein österreichisches Phänomen ist Breicha in vielen Sparten der Kunstszene tä-tig; vor seinem Leben als Museumsdirektor und parallel zu seinem Beruf als Journalist war er Zeitschriftenherausgeber, Verfasser von grundlegenden Werken zur modernen Kunst, Galerieleiter und Organisator von Symposien und fotografischen Workshops, kurzum ein Freund der Künstler und Kenner der Szene.

Er war - in seinen Worten - "umtriebig", dies jedoch nicht im Sinne einer heute üblichen Schickeria-Seitenblicke-Berichterstattung, sondern als einer, der mit den Künstlern lebte und ihren Werdegang verfolgt, manchmal auch bestimmt hat: die Gruppe der "Wirklichkeiten", junge Maler der 70er Jahre, die zwischen Pop und Realismus ihre bildnerischen Konzepte entwickelten, wurde von Breicha gegründet und ist soeben in einem Revival der damaligen Avantgardekünstler im Kunsthaus Wien zu sehen:

Wolfgang Herzig, Martha Jungwirth, Kurt Kocherscheidt, Peter Pongratz, Franz Ringel und Robert Zeppel-Sperl gingen bald ihre eigenen künstlerischen Wege, das Phä-nomen einer "neuen" österreichischen Malerei lang vor den Jungen Wilden wurde jedoch zum Bestandteil der Kunstgeschichte.

Die junge Literatengeneration Österreichs - erstmals nicht nur in Wien konzentriert, sondern mit kräftigen Impulsen aus der Kärntner und steirischen Provinz - fand in Otto Breichas "Zeitschrift für Literatur und Kunst", den "protokollen", oftmals ein erstes Medium für die Publikation ihrer neuen Texte. Ebenso wie wenig bekannte Schriftsteller aus dem Ausland, vornehmlich den osteuropäischen Ländern, in Breicha und der "Gesellschaft für Literatur" einen ersten Anhaltspunkt für Übersetzungen und Aktivitäten im Westen finden konnten. All diese mussten für Kataloge, Zeitungsartikel, Anthologien und Präsentationen fotografiert werden.

Das unbekannte Meisterwerk

Und ein professioneller Fotograf war meist nicht zur Stelle, wenn man ein Interview mit dem eben angereisten Elias Canetti machte, ein Gespräch im Kaffeehaus mit dem burschikosen Wolfgang Bauer führte oder eine Reportage über das Werk von Fritz Wotruba vorbereitete. Otto Breichas fotografische Bildnisse von jungen und arrivierten Künstlern und Schriftstellern entstanden in den 60er Jahren bis zum Beginn der 70er Jahre. Mit seiner Ernennung zum Direktor der Kulturhauses Graz und in der Folge des Rupertinums in Salzburg verlagerte sich sein fotografisches Interesse auf die Ausstellungstätigkeit, Vermittlung und Publikation von großen Fotografenpersönlichkeiten wie Cartier-Bresson, Franz Hubmann und Inge Morath, aber auch etwa auf die erste Überblickspräsentation von japanischer Fotografie und einer jungen Fotografengeneration in Österreich.

Sein fotografisches OEuvre zeichnet sich dadurch aus, dass es nicht von einem bestimmten "Stil" gekennzeichnet ist, sondern gewissermaßen von einer fotografischen Unkompliziertheit; Breichas Fotobildnisse zeigen die porträtierte Person immer in einer "hergerichteten" Pose, so als ob er gesagt hätte: "Jetzt stell dich einmal hierher und dann machen wir ein Foto" - und doch ist seine Fotografie in ihrer Direktheit und Einfachheit geprägt von einem Gespür für kompositorische Kriterien, für die Bedeutung von Licht und Schatten, von Raum und Dreidimensionalität und von einem sensitiven Umgang mit Strukturen.

Otto Breicha ist ein Fotograf, der sich nicht an einem künstlerischen Stil festmachen lässt, sondern an seiner Haltung zur Fotografie: sie soll locker kommen, leicht lesbar sein und entbehrt oftmals nicht einer gewissen (kalkulierten?) unfreiwilligen Komik, eines aberwitzigen Humors, welcher für Otto Breicha generell so charakteristisch ist. Seine "Modelle" sind die unbestrittenen Protagonisten seiner Fotobildnisse, sie sind geradezu bildhauerisch ins absolute Zentrum gerückt, die Konturen sind wie herausmodelliert und die Oberflächen sind von geradezu altmeisterlicher Prä-zision. Nie sah man so toll gestrickte Pullover, so lässig zerknautschte Hemden und - gesegnet sei das triste Wiener Herbstwetter - so formidabel geknöpfte Wintermäntel.

Spezielle Doppelbegabung

Otto Breicha hatte eines seiner Lieblingsthemen immer wieder zum Mittelpunkt von Ausstellungsprojekten und kunsthistorischen Texten gemacht: die seiner Meinung nach für Österreich so typische Form der "Doppelbegabung". Ob das nun für die Zeichnerei und Schreiberei von Herzmanovsky-Orlando bis Günter Brus gilt, ob damit Kombinierer wie Curt Stenvert oder Gerhard Rühm gemeint sind; unbemerkt allerdings blieb ihm (und nicht nur ihm) das Phänomen der eigenen Doppelbegabung, nämlich als Ausübender und Theoretiker im Bereich der Fotografie.

Es wird sich schwerlich ein Autor oder Kunstschriftsteller finden, der ähnlich ausführlich die österreichische Kunstszene seit der Nachkriegszeit kommentiert und begleitet hat und der vor allem der Akzeptanz des künstlerischen Mediums der Fotografie so frühzeitig und so breit Raum und Impuls gegeben hat - und der dazu noch selbst als (fotografischer) Künstler tätig war.

Breicha selbst sagt, dass er "die paar Jahre, in denen in der österreichischen Kunstszene das Interessanteste und Aktuellste zugange war", miterlebt hat als einer, der mittendrin war und nicht bloß dabei. Als diese virulente Zeit der 60er Jahre im Abklingen war, verebbten auch Breichas fotografische Aktivitäten.

Er selbst sieht das Hervorkramen dieser Dokumente einer bewegten und von Aufbruch gekennzeichneten Zeit wenig sentimental: "Für mich selbst bedeutet diese Art Zeitzeugenschaft nicht mehr als über die Zeit aufbewahrte Briefdurchschläge - um nicht von ungefähr zu meinen, durchaus nichts versäumt zu haben."