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06.11.2002 - Ausstellung
Der sanfte Reiz des Verschwindenden
Siegfried Anzinger und Marie Luise Lebschik stellen gemeinsam in der Sammlung Essl in Klosterneuburg aus. Von Weltenschöpfern, Madonnen und dem kleinen Unterschied.
VON ALMUTH SPIEGLER


Eine patscherte Ente mußte daran glauben. Von hinten hält sie der Mann - die pornographischen Details bleiben dankenswerter Weise der Phantasie überlassen. Ein Skandal? Das zarte Aquarell, fast skizzenhaft, ist nur Teil einer vielblättrigen Serie von Siegfried Anzinger. Vermeintlich unschuldig füllt sie zwei Wände in der Sammlung Essl in Klosterneuburg. Nur wer den Blick nicht wenden mag, entdeckt die pikanten Details.

Humorvoller, sinnlicher und spielerischer ist Anzingers Malerei in den letzten Jahren geworden. Der einstige "Junge Wilde", der Österreich Anfang der achtziger Jahre verlassen hat, nach Köln zog und in Düsseldorf Malerei unterrichtet, ist in seiner Heimat eher eine stille Größe. In der Sammlung Essl werden derzeit seine jüngsten Arbeiten gemeinsam mit Bildern seiner Frau Marie Luise Lebschik ausgestellt: ein Aufschrei der Qualität - wer ihn zu hören vermag.

Denn Anzingers Bilder lassen auf die Malerei vertrauen, die in der heutigen Kunst meist plakativ zu selbstdarstellerischen Zwecken genutzt wird. Im immer ähnlicher eingesetzten, modischen Realismus werden die Leinwände und Persönlichkeiten verwechselbar.

Doch Anzinger nahm sich Zeit und entwickelte seinen eigentümlichen Stil zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Fast scheint das Abbild verschwunden, verwaschen von unseren Erinnerungen, Interpretationen - und doch verweilt es noch einen Moment, schemenhaft an der Oberfläche. Offen, um mit neuen Gedanken aufgeladen zu werden.

Die Farben der Madonna

Anzinger verläßt sich nicht auf eine schnellebige Themenvielfalt, sondern konzentriert sich in unzähligen Variationen auf die Zwischentöne, die Komposition - besonders die sanften Farben. So trifft man ziemlich weltliche Madonnen an, geworfen in alle Lebenslagen: Als üppige Mutter mit dem prallen Kind tollend, in der Wüste, in Altrosa, in Rot-Blau, mit vor Morgenröte glühendem Busen. Doch auch klassisch, mit Schleier und Umhang, argwöhnisch ihren Knaben umsorgend.

In schimmernden Schichten sind die Bilder aufgebaut. Die Leimfarbe - deren aquarellartige Wirkung der Maler perfekt einzusetzen vermag - legt sich wie eine transparente Lasur auf die Leinwand. Mit lockerem Pinsel hingeworfen füllen die sanften Töne die barocken Formen.

Leicht scheint in Anzingers Welt nicht nur die Bildschöpfung. Auch die Erschaffung der Tiere geht angenehm bequem vor sich: Eine massige Gestalt liegt in der Badewanne, schwirrt durch die Wolken, lehnt auf einem Stuhl. Bedächtig hebt sie den Finger - und Ente, Hasen, Löwen wird das Sein gegeben.

Seltsam tief, unter Augenhöhe gehängt, wird diesen Bildern ihre Würde genommen, der Zugang vereinfacht.

Zu einfach macht es einem hingegen Marie Luise Lebschik, die in Klosterneuburg mit ihrem Mann gemeinsam ausstellt. Ihre neuesten Mädchenbilder lassen die Unschärfe der früheren vermissen, werden in ihrer Klarheit und Farbengrellheit zu aufdringlich, fast süßlich.

Ein Künstler-Paar mit Unterschieden. Doch diese sollen ja bekanntlich befruchtend sein.

Bis 2. Februar. Dienstag bis Sonntag 10-19 Uhr, Mittwoch 10-21 Uhr.



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