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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
17. Dezember 2007
19:01 MEZ
Albertina
Bis 8. Februar 
Foto: Appel Foundation
Hingabe, Transzendenz, Metamorphose? Ein vielseitig deutbares Sujet von Karel Appel (Akt 23, 1986).

Foto: Appel Foundation
Karel Appel, Akt 34 (1989)

Überwinden der eigenen Revolte: Karel Appel
Monumentale Aktzeichnungen des Niederländers in der Pfeilerhalle der Albertina

Wien – Was heißt das nun, wenn jemand, der als einer der "Zertrümmerer des Akademismus" gilt, als ein in Selbstdefinition "barbarischer Maler in einer barbarischen Zeit", in seinem Spätwerk ungewöhnlich naturalistische Akte zeichnet? "Pfuscher, Schmierer und Betrüger", lautete die harsche Kritik 1949 nach der ersten Präsentation der CoBrA-Gruppe, die mit den Stilmitteln des Informel an der Wiederbelebung des Expressionismus arbeitete. Ist das Zuwenden zu dem, was lange als "Akademismus" verpönt war, als Ablösung von einstigen Idealen zu verstehen oder gar als Verrat eines einstigen künstlerischen Revolutionärs? Muss das Schlimmes verheißen? Nein.

Ohne Zweifel war das Feindbild der Avantgarden von den Akademien verkörpert worden, jenen Institutionen, die "wussten", was das Schöne, Wahre und Gute ist, und es zum Dogma machten. Dagegen musste revoltiert werden, um andere Entwicklungen möglich zu machen. Der auch von Karel Appel zwischen 1942 und 1944 an der Königlichen Akademie in Amsterdam antrainierte akademische Zeichenstil war ja nur das Symptom eines bürgerlichen, konservativen gesellschaftlichen Kontexts.

Wieso also nicht, Jahrzehnte später, als die Pluralität der Stile längst möglich, die Freiheit längst errungen war, sich dem einst verpönten, naturalistischen Zeichenstil – als für Appel geradezu "Neues" – zuwenden? Appel hatte ohnehin einige Aktzeichnungen der Studienzeit aufgehoben.

Akte, eher sporadisch

Der im Vorjahr verstorbene Appel, der das Unbewusste in seiner Malerei betonte, es in unmittelbarer, expressiv befreiter Geste und intensiver Farbigkeit auf die Leinwand brachte – fasziniert und inspiriert von der Art Brut, der Kunst von Geisteskranken und Kinderzeichnungen –, hatte sich immer wieder mit dem Akt beschäftigt. Jedoch eher sporadisch und in der von ihm charakteristischen, expressiv-abstrakten Malweise.

Allein in der jetzt von der Albertina in der Pfeilerhalle skizzierten Phase (die Werke stammen von einem anonymen Spender) zeigt sich dieser naturalistischere und grafische Zugang. Für die monumentalen Zeichnungen, die Appel zwischen 1984 und 1989 anfertigte, benötigte er, dem, obgleich die Gruppe nur drei Jahre existierte, zeit seines Lebens der Cognomen des CoBrA-Künstlers anhaftete, sogar eine eigenen Zeichentafel. In den im Durchschnitt zweieinhalb mal anderthalb Meter messenden Akten, in einer trotz Akzenten von Grau dominierten Farbigkeit, öffnen sich vielfältige Assoziationen.

Sexuell aufgeladen

Für den einen Betrachter sind sie mehr, für den anderen weniger sexuell aufgeladen, denn weiße Schraffuren über der Scham lassen sich mitunter auch wie ein schützendes Gitter lesen. Themen der Hingabe und des Todes in den zumeist liegenden Akten lassen sich über Gesten und Posen, aber auch in der Farbigkeit erkennen: Manchmal sind es fast schon Totenschädel, ein letztes Aufbäumen, andernorts deuten Oliv- und Violetttöne gar Stadien der Verwesung an.

Zwischen 30.000 Euro und 70.000 Euro rangieren die Preise für Appels Aquarelle und Papierarbeiten, die derzeit in der Galerie Ulysses ausgestellt sind. Unabhängig von der Entstehungszeit erfreuen sich seine Arbeiten starker Nachfrage. Die Ausstellung der Frauenakte, ein Thema Appels, das die Albertina zum zweiten Mal überhaupt aufgreift, wird da selbstverständlich nicht schaden, und außerdem eine bisher wenig bekannte Werkgruppe auf dem Markt einführen. (Anne Katrin Feßler /DER STANDARD, Printausgabe, 18.12.2007)


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