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„Emergency Room“ bei Olaf Stüber, Berlin

Jetzt rede ich

Astrid Mania

12. Oktober 2006 

Emergency Room: The Berlin Test – A Project by Thierry Geoffroy / Colonel. Galerie Olaf Stüber, Berlin. 9. September bis 13. Oktober 2006

Es ist nicht das politische Engagement in der Kunst, dass der umtriebige Künstler Thierry Geoffroy / Colonel vermisst; er bemängelt vielmehr, dass seine Kolleginnen und Kollegen kaum Präsenz in öffentlich geführten politischen und sozialen Debatten zeigen – oder auch zeigen dürfen. Dabei, so glaubt er, wären doch gerade die Künstler mit ihrer Schulung im Visuellen dazu prädestiniert, aus der täglichen Informationsflut Singularitäten herauszufiltern und bildhafte und sprachliche Perversitäten anzumahnen, die sich sonst in die Köpfe schleichen und dort ihr Unwesen treiben. Um dem abzuhelfen, hat er in Ausdehnung seines eigenen künstlerischen Ansatzes den „Emergency Room“ ins Leben gerufen, eine Art Webblog in der dreidimensionalen Realität, der nach einer ersten Station im Nikolaj Copenhagen Contemporary Art Center nun bei Olaf Stüber – der Berliner Galerie des Künstlers – Aufnahme gefunden hat, bevor er im New Yorker PS1 seine Zelte aufschlagen wird.

Geoffroy / Colonel hat rund 60 in Berlin weilende Künstler eingeladen und dazu angehalten, wachsamen Auges und Ohres Form und Inhalt der über die Medien verbreiteten Nachrichten zu verfolgen und sogleich auf alles zu reagieren, was ihre Aufmerksamkeit erregt. Dabei ist es den Künstlern selbst überlassen, wozu, wann und in welcher Form sie überhaupt tätig werden wollen. Dem Initiator geht es darum, die Zeitspanne zwischen einer Information, ihrer künstlerischen Bearbeitung sowie schließlich ihrer öffentlichen Präsentation weitgehend kollabieren zu lassen: Gleich am Tag ihres Entstehens werden die jeweiligen Arbeiten in der Galerie präsentiert. Um 13.30 Uhr wird umarrangiert und die Schau wird um aktuelle Neuzugänge erweitert, während die bisher gelieferten Werke gleichsam in eine andere Zeitzone, in den mit „Retard“ überschriebenen Nebenraum wandern, wo sie ausgestellt oder archiviert werden.

Allerdings scheint es kaum Reizthemen zu geben, wenig, was leidenschaftliche Entgegnung oder kritische Analyse auslöst. Die Bandbreite der Nachrichten, die bisher zu künstlerischen Arbeiten angeregt haben, reicht vom Liebesdrama bis zur Kommunalwahl, von der Börse bis zur Kulturpolitik. Marc Aschenbrenner mit seinen kleinen, expressiven Malereien, in denen menschliche Leiber aufs Blatt gedrängt werden, und Hannes Kater mit seinen Tageszeichnungen, Text- und Bildcollagen, die sich vielfach aus der Sensationspresse speisen, gehören zu den eifrigsten Teilnehmern am „Berlin Test“. David Keating ist leider nur mit einer Arbeit vertreten: der Übersetzung eines Artikels aus dem Tagesspiegel über den UN-Einsatz in Afghanistan ins Englische und Handschriftliche, die der Nachricht auf diese Weise eine zusätzliche Ebene eröffnet. Auch Eleonore de Montesquiou erreicht mit ihren spröden Textvideos mehr als eine reine Verdoppelung der Nachrichtentexte und -bilder, indem sie zu Hörendes in ein absurdes zu Lesendes verwandelt. Antje Majewski zieht mit Mikrofon und Kamera durch Berlins Stadtviertel und befragt Passanten nach der für sie wichtigsten Nachricht des Tages. Caroline Lund und Thorbjørn Reuter Christiansen, alias PM, laden währenddessen zu partizipativen Performances ein, bei denen jeder seine Meinung zum aktuellen politischen Geschehen kundtun kann, und erweitern so ebenfalls den Kreis der über die Künstler hinaus am Projekt Beteiligten.

Es ist erfreulich, dass im zunehmend kommerzialisierten Berlin eine Galerie diesem Versuchsaufbau die Pforten öffnet. Doch was das Konzept verspricht, können die Künstler nicht einlösen – denn dessen löbliche Absicht, einen Highspeed-Zugang zu einer Ausstellungsplattform zu eröffnen, ist leider auch seine Schwäche. Angesichts der Kürze der Zeit, mit der die Künstler auf Aktualitäten reagieren können und sollen, haben sie es schwer, der Geschwindigkeit der Medien besonnene Bilder, Texte oder andere Ausdrucksformen entgegenzusetzen. Es besteht die Gefahr, dass Schlagzeilen nur zurückgespiegelt, jedoch kaum wirklich reflektiert werden. Nicht ohne Grund wird in den Medien das Modewort der „Entschleunigung“ in jüngster Zeit so oft beschworen.


Teilnehmende Künstler:
Peter Anders, Marc Aschenbrenner, Victor Ash, Mario Asif, John von Bergen, Christian Blau, Henning Christiansen Thorbjorn Christiansen, Robert Conev, Rabea Eipperle, Enki’s Longterm Emergency (Susanne Weirich, Robert Bramkamp), Magdalena Esponda o Roter, Marcel Everling, Azin Feizabadi, Dietmar Fleischer, Gunda Förster, Frank Franzen, Katrin Glanz, Emil Holmer, Matti Isan Blind, Boris Ivandic, Frans Jacobi, Hannes Kater, David Keating, Karin Kerkmann, Knut Klaßen, Karin Koenig, Andreas Liebmann und Verena Stenke, Peter Lind, Caroline Lund, M+M, Antje Majewski, Marc Mer, Eleonore de Montesquiou, Vladimir Mitrev, Yvonne-Anne Mülheis (Yam), Klaus Münzer, Alexander Negrelli Sandra Norrbin, Wolfgang Oelze, Oliver Oefelein, Tanja Ostoji’c Andrea Pichl, Eva Reader, Tina Schimansky, Sonya Schönberger und Beatrice Fleischlin, Henrik Schrat, Susanne Schuricht, Nada Sebestyen, Lisa Ströbeck , Vassiliea Stylianidou,Jeanne Susplugas, Sergei Svjatchenko, The Unwetter collective (Philipp Ekhardt, Jole Wikke, Ulrike Solbrig), Tanya Uri Elmar Vestner, Lars Vilhelmsen, Tinghoj Vilhelmsen, Katrin Von Maltzahn, Szacva Y Pal, Ella Ziegler