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Kunstberichte

Karl Marx am Bart zupfen

Quer durch die Galerien
Diese kleine Infantin probiert schon mal ihren zukünftigen Thron aus (auf dem die reiche Adoptiv  mama vorher aus

Diese kleine Infantin probiert schon mal ihren zukünftigen Thron aus (auf dem die reiche Adoptiv mama vorher aus "ungehörigem" Schrifttum zitiert hat – für die Kamera von Milica Tomic) . Galerie Charim

Von Claudia Aigner

Milica Tomic muss eine große Überredungskünstlerin sein. Denn wozu sie diese Superreichen aus Texas gebracht hat . . . Und die tun das auch noch vor laufender Kamera. Arglos wie die sieben Geißlein den bösen Wolf haben sie die Serbin reingelassen in ihre triumphalen Wohnzimmer und einschüchternden Büros.

Und was die Herrschaften dann aufführen, die ehrenwerte Mutter des Catering oder die Ketchup-Königin, in deren Adern sicher schon Tomatensoße fließt und auf die sich, wenn sie sich in den Finger schneidet, wohl gleich gierig alle Pommes frites der näheren Umgebung stürzen, oder der Erbe eines Bankimperiums (der aber eh schon ab und zu aus der Rolle fällt und singt wie ein ordinärer Cowboy, weil er eine Liaison mit einer nicht standesgemäßen Gitarre hat), also was die da tun, ohne um ihren Ruf zu bangen, das ist ja grad so, als würde Dagobert Duck, die kapitalistischste Ente seit es Bürzeldrüsen gibt, inbrünstig das Lied der Arbeit schnattern, während er ein Vollbad in seinem Reichtum nimmt.

Galerie Charim: Die Geheime Offenbarung des Karl

Genauso gut könnte Bill Gates ein T-Shirt mit dem Che Guevara drauf anziehen. Und eine Demo von linken Studenten der Wirtschafts-Uni anführen mit dem Transparent: „Nieder mit dem Privateigentum!“ oder: „Auf zum Klassenkampf, Genossen!“ oder: „Marx macht Schluss mit lästigem Profit!“ Dann gäbe es keinen Genierer mehr auf der Welt.
Als Nächstes stellt sich George W. Bush in Peking in der Großen Halle des Volkes vor den Nationalkongress der Kommunistischen Partei hin und verkündet auf Chinesisch: „Ich bin ein Pekinese!“ (Oder heißt das Pekinger? Oder Pekingmensch?) Und Fidel Castro beißt am 1. Jänner, dem kubanischen Tag der Befreiung, genüsslich in einen Big Mac. Am besten irgendwo in der Schweinebucht, wo Kuba beinah von Exilkubanern und amerikanischen Waffen wieder „entfreit“ worden wäre.

Also wüsste ich nicht, wozu Milica Tomic die vom Glück Begüterten angestiftet hat, wäre jetzt sogar ich neugierig. Die Damen und Herren des Dollars haben nämlich Passagen aus der Bibel der Arbeiterklasse aufgesagt: aus dem „Kapital“ von Karl Marx (jessas, von diesem Atheisten!). Und haben sich vorher nicht einmal bekreuzigt, um ihr Seelenheil zu retten.

Damit rekurriert die Tomic auf Sergej Eisenstein (wer kennt nicht seinen Kinderwagen, der mutterlos die Treppe von Odessa heruntersaust im Stummfilmklassiker „Panzerkreuzer Potemkin“?), der vergeblich versucht hat, mit experimentellem Elan „Das Kapital“ zu verfilmen. Mit seiner „intellektuellen Montage“, um dem Publikum dialektisches Denken beizubringen.

Ich gebe zu, dass ich den „dialektischen Materialismus“ nie so recht kapiert hab’ und wie damit die Klassen in Bewegung gesetzt werden und warum sich der Marx auf seinen Grabstein hätte schreiben können: „Meine Dialektik war besser als dem Hegel seine!“

Immer fährt der Armani mit dem Mercedes davon

Ich hab’ mir das immer ungefähr so vorgestellt (den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit): Die Personifikation der Arbeit (im blauen Proletarieroverall) und die Verkörperung des Kapitals (im Armani-Anzug) zeugen gemeinsam etwas auf dem Fließband, zum Beispiel einen Mercedes, und der Armani-Anzug fährt dann damit davon, während der blaue Overall ihm wehmütig nachwinkt. Oder eigentlich fährt der Armani nur mit dem Mehrwert davon. Aber den kann man sich so schwer vorstellen. Der hat kein Gaspedal und keinen geilen Lack.

Wenn Kapitalisten Marx rezitieren, ist das sicher auch dialektisch (oder pervers). Doch sie geben eh nichts aus der „Apokalypse für Reiche“ zum Besten, aus der „Geheimen Offenbarung des Karl und des Friedrich“, nämlich aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels, das die Diktatur des Proletariats prognostiziert und am Ende: die klassenlose Gesellschaft, die Hölle der Bourgeoisie. Sie tragen nichts Pikantes vor, sondern, wie mich eine Ex-Studentin der Handelswissenschaften aufklärte, eine „Wischiwaschi-Einführung in die Volkswirtschaft. Da is ned amoi a Konzept drin“. (Na ja, höchstens das Konzept der Ausbeutung.)

Und da es mit diesem atheistischen Religionsbuch, dem „Kapital“, so ist wie mit der Bibel (jeder hat eine Meinung dazu, aber die wenigsten haben es von vorn bis hinten gelesen), weiß ich natürlich nicht, ob es noch gruseligere Stellen gibt als die über das Kaufen und Verkaufen der Arbeitskraft. Jedenfalls ist Marx genauso wenig tot wie Elvis. Die Haare von ihm fallen immer noch in die Suppen der Privilegierten („Herr Ober, da schwimmt ein Barthaar von Karl Marx in meiner usw.!“).

Ja, die Videoarbeit „Reading Capital“ überfordert mich ein wenig. Beim „Container“ ist dann alles klar. Tomic hat einen solchen, in dem Güter transportiert oder illegale Arbeitskräfte wie Waren „eingeschleppt“ werden oder Unerwünschte einfach ermordet werden, auf einem serbischen Schießplatz brutal durchlöchern lassen. Und schickte dann, für ein Video, Freiwillige wie eine Herde hinein. Wie zur Besichtigung ihres eigenen Grabes. Tomic zählt sicher zu den Interessantesten auf dem Gebiet der bewusstseinsfördernden Kunst. Bei ihr wirkt der soziale Eifer nicht wie eine Masche, weil Engagement halt so „fesch“ ist.

Galerie Sur: Kein Gulasch klebt auf seinem Plafond

Die Bilder von Kurt Freundlinger (mittlerweile 75 geworden) sind zwar beschaulich, aber nicht so wie ein Spiegelei, schon etwas komplexer und weniger eindeutig. Die meisten sind durch und durch abstrakt, aber nichtsdestoweniger gebaut. Soll heißen: Sie rasten nicht aus wie ein Gulasch, das in einem Druckkochtopf explodiert und den Plafond heimsucht. Freundlinger hat ein Gefühl für Ausgewogenheit (die eigentlichen Stars sind die hochprozentigen, intensiven Farben), ohne uns mit einer billigen Bildharmonie abzuspeisen. Nur seine steifen „Pendel“-Bilder nehme ich vom Loblied aus. Da wäre mir ein resolut in die Pfanne geschlagenes Spiegelei lieber als die.

Quer durch die Galerien

Galerie Charim
(Dorotheergasse 12)
Milica Tomic. Reading Capital.
Bis 14. Jänner 2006
Di. bis Fr. 11 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 14 Uhr

Galerie Sur
(Seilerstätte 7)
Kurt Freundlinger. Malerei.
Bis 30. November
Di. und Do. 15 bis 19 Uhr
Mi. 10 bis 14 Uhr

Freitag, 25. November 2005


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