Babysitter fürs Wunderland
Von Claudia Aigner
Das Wunderland ist jetzt ein Überwachungsstaat. (Hat die
fantasieintensive Alice zu viele blutrünstige Videospiele gespielt?) Und
es liegt noch bis 15. Dezember beim Georg Kargl unten im Keller
(Schleifmühlgasse 5). Julia Scher, deren Vision vom Wunderland die ganze
Installation ja ist, war freilich so gemein auch wieder nicht, dass sie am
oberen Stiegenende einen Stolperdraht angebracht hätte, damit man quasi
"authentisch" ins Wunderland hinunterpurzeln kann (fast wie Alice durch
den Kaninchenbau). Unten gelangt man dann ins Kontrollzentrum vom
Wunderland: ein Tisch mit einem Monitor, auf dem man sieht, wer sich dem
Wunderland nähert, Scheinwerfer, die die Szenerie abtasten (im Licht
passieren ja weniger Verbrechen), ein Kabelsalat und die sauber
zusammengelegten Uniformhemden der Agentur "Security by Julia".
Konfektionsgröße: die von Volksschulkindern. Farbe: Punschkrapferlrosa.
Auf den Fotos rundum tragen Kinder ebendiese Hemden und auch
Uniformmützen und sind ausgerüstet, um die kleinen Wunderland-Besucher mit
der polizeilichen "Gummiwurscht" zu beschützen und mit Videokameras zu
überwachen. Weil überall Pädophile und G'sunde-Watsch'n-Fanatiker
herumlaufen? Können die Kinder heutzutage nicht einmal mehr in ihre
Fantasiewelt ohne Leibwächter gehen? Die "Milchzahn-Spezialeinheit": ein
Mittelding zwischen Babysitter-Vereinigung und Polizei. (Besonders
zynisch, weil die Uniformen in einem fast schon widerwärtig unschuldigen
Rosa gehalten sind.) Oder so etwas wie die "CFOR" (die "Candy-Force",
die Zuckerltruppe). Denn wie eine Frauenstimme (so hartnäckig wie Goethes
Erlkönig) immer wieder beteuert: Hier gibt es Zuckerln gratis. Und
tatsächlich: Da liegen Zuckerlpackerln mit einem weißen Kaninchen außen
drauf (ja auch so eine Wunderland-Spezies). Jetzt ist es natürlich
riskant, im Wunderland Essen anzurühren, weil die Köche dort mitunter
Turbo-Wachstumshormone statt Zucker nehmen. Ich habe die Zuckerln
trotzdem probiert. Und bin nicht plötzlich hochgeschossen, um mir das
Genick am Plafond zu brechen, und ich bin auch nicht so weit
eingeschrumpft, dass mich die Putzfrau wegdesinfizieren hätte können. Wie
man ausschauen würde, wenn die Zuckerln gewirkt hätten, kann man in
konvexen und konkaven Spiegeln begutachten. Eine brillant perverse und
konsequente Aktualisierung von Lewis Carrolls Wunderland. Also mich hat
Julia Scher überzeugt: Genauso stelle ich mir von jetzt an das Wunderland
im Medien- und "Tomb-Raider"-Zeitalter vor.
Erschienen am: 01.12.2000 |
. |
Sie sind eingeloggt! 1064 User insgesamt auf dem Server angemeldet. Logout
Mit unseren Suchseiten können Sie in der Zeitung
und im Internet
recherchieren. Nutzen Sie die Link-Sammlungen, um EDV-Unternehmen und
Software zu finden.
|
. |