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21.09.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Mehr Luft, mehr Aura für den Kontinent Picasso
VON NORBERT MAYER
Der Direktor der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, über neue Räume, überraschende Blickachsen und einen alten Meister.

Die Presse: Die Albertina hat 700 Quadratmeter an Fläche gewonnen, mit Hilfe der Gönner Jean und Donald Kahn. Ein Glücksfall?

Klaus Albrecht Schröder: Der Ausbau erlaubt eine dramatische Verbesserung der Ausstellungsmöglichkeiten, zum einen für die ganze Breite unserer Sammlung, von der Renaissance bis zur Gegenwart, zum anderen gibt es für Sonderschauen, die bislang allein für die Propter-Homines-Halle geplant waren, mehr Raum. Die Werke haben mehr Luft, mehr Aura. Ich bin für die Entschleunigung, die Konzentration.

Wie sieht Ihr Konzept für die Galerien aus?

Schröder: Ich bevorzuge klare Verhältnisse, übersichtliche Räume, die in sich geschlossen sind - das hilft der Konzentration - und die zugleich nahtlos ineinander übergehen. Wo immer man ist, man sieht auf einer Blickachse genau das Nächste, und wieder das Nächste. Die Albertina hat im Gesamten den Nachteil, dass sie zumindest aus drei Gebäudeteilen aus drei Jahrhunderten besteht. Es gibt keine rektanguläre Gebäudestruktur. Ich hätte das durch eine biomorphe Verschleifung verbergen können. Das habe ich nicht getan, man sieht die Achsenbrüche deutlich.

Manche Museen haben sich neuerdings zurückgenommen. Das Kunsthistorische Museum hat das Palais Harrach aufgegeben, das Liechtenstein Museum hat die Öffnungszeit reduziert. Die Albertina handelt antizyklisch?

Schröder: Im Unterschied zu anderen Kollegen habe ich mir eine große Zurückhaltung auferlegt, die Politik anderer Häuser zu kommentieren. Aber ich sage ausdrücklich etwas Positives: Das KHM hat vor, seine Flächen zu erweitern, weil es einen starken Bedarf nach einer großen Halle hat, um Wechselausstellungen durchführen zu können, ohne permanent die Schausammlungen abbauen zu müssen. Dass der Erfolg des Palais Harrach ein sehr überschaubarer war, hat leider dazu geführt, dass sie es geschlossen haben. Mit der Albertina hat das alles nichts zu tun, über 80 Jahre gab es einen Missbrauch des Palais. Dass wir jetzt versuchen, aus ihm alles rauszuholen, was in ihm drinnen ist, durch die Ausweitung der Basteien, durch die Nutzung von Depotflächen, von Dachgeschoßflächen, ist eine geradezu zwingende Notwendigkeit. Die Gunst der Stunde nützen wir. Den Bedarf, der aus den Sammlungen herauswächst, können wir heute besser erfüllen als früher. Ein Genug gibt es hier nie, nicht bei uns und bei keinem Museum. Alle Museen der Welt erweitern heute. Alles, was wir heute haben, habe ich mir 1999 erwünscht und erträumt.

Klingt wie eine Bilanz. Sind Sie amtsmüde?

Schröder: Das ist keine Bilanz, das ist ein Rückblick auf die Realisierung all dessen, was einmal Hoffnungsgebiet war.

Als die große Renovierung der Albertina 2003 abgeschlossen wurde, gab es auch Kritik - historisch falsch, zu wenig authentisch. Wie ist das mit den neuen Räumen?

Schröder: Das ist eine moderne Ausstellungshalle, da sind wir in Bereichen, die Stauräume, Lagerräume der Musiksammlung waren oder ein Tonstudio, da reden wir über eine ganz andere Qualität der Geschoße. Bekanntlich haben den Säulengang und das Vestibül nicht wir restauriert, sondern der ist in der Verantwortung des Bauherrn gestanden. Wir haben die Prunkräume restauriert. Es ist mittlerweile sehr viel an Rückbau erfolgt, wir konnten die Decken rekonstruieren, wir werden bei den Vergoldungen das nachbessern, was damals sicher aus Spargründen seitens eines anderen Auftraggebers nicht historisch authentisch realisiert werden konnte. Die neuen Räume sehen genauso aus wie die Propter-Homines-Halle, derselbe Boden, dasselbe Industrieparkett, ein reiner Kunstlichtraum. Nur an einer Stelle habe ich bewusst eine Wartezone gemacht, von der aus man einen Blick in den zentralen Hartmann-Court hat.

Im Mozartjahr war die Albertina für eine Großausstellung vermietet. Wie sieht dieses Experiment in der Retrospektive aus?

Schröder: Von dieser Mozart-Ausstellung haben wir sehr viel gelernt. In dieser Zusammenarbeit mit dem Da-Ponte-Institut, das die Ausstellung konzipiert hat, haben wir auch unsere Sammlung aus einem neuen Gesichtspunkt betrachtet. Ich enthalte mich hier einer Parteinahme. Die Besucher sind mündig genug, sich bei dem gewaltigen Angebot, das diese Ausstellung geboten hat, das rauszuholen, was sie bereichert. Wenn jemand verwirrt hinausgegangen ist, dann kann das ebenso an der Ausstellung liegen wie an der mangelnden Einstellungsbereitschaft des Besuchers. Für mich ist das ein gutes Experiment.

Die neue Saison beginnt mit Picasso - nicht unbedingt das, was man oberflächlich mit der Albertina verbindet.

Schröder: Niemand anderer als die Albertina widmet der zeitgenössischen Kunst eine so große Aufmerksamkeit, zeigt sie in ihrem eigenen Recht. Es gibt für diese Schau über 60 Leihgeber aus der ganzen Welt, vom Metropolitan Museum bis zum Western Art Museum in Tokyo, vom Sidney Museum bis zum Museum of Modern Art. Es ist eine der meist erwarteten Ausstellungen. Sie zeigt Picasso nach Reevaluierung des Spätwerks, der uns geradezu fulminant mit einem Höhepunkt seines Gesamtschaffens konfrontiert. Es ist notwendig und vollkommen legitim, dass wir diese großartige Ausstellung zeigen, den Kontinent Picasso, den einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts.

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