Kunst unter dem China-Hut
Am Anfang war ein Hut, ein chinesischer. Und der hatte nicht drei Ecken, sondern eine Spitze. Nun ist er als Architektur gewordene Idee zum Wahrzeichen einer ganzen Region geworden. Seit Mitte Mai 2010 steht auch in der lothringischen Großstadt Metz ein Centre Pompidou.
Fast immer wenn ein neues Museum eröffnet, wird überlegt, ob der Bilbao-Effekt einsetzen könnte. In Metz wurde er von vornherein eingefordert. Der Grund ist ein Superlativ: die Sammlung des Musée National d’Art Moderne, der mit rund 60.000 Werken moderner und zeitgenössischer Kunst größten in Europa. Ihr Heimathaus ist das Pariser Centre Pompidou.
Nun kann sie in zwei Häusern gezeigt werden. Mit dem Gang in die Provinz ist der erste Schritt der Dezentralisierung der nationalen französischen Kultureinrichtungen vollzogen. Der Louvre wird demnächst folgen – und zwar in den Norden nach Lens.
Der Bilbao-Effekt in Metz? Schön und gut, mag der Besucher der Stadt denken. Aber auch ohne den Neubau hat die Stadt unweit der Grenzen zum Saarland und Luxemburg schon einiges zu bieten. Eine lange Geschichte und „eine Myriade denkmalgeschützter Gebäude“, wie es Bürgermeister Dominique Gros zur Eröffnung des Centre Pompidou formulierte.
Blickfang in der Altstadt, die sich an beiden Ufern der Mosel erstreckt, ist die Kathedrale Saint-Etienne. Wie einen erhabenen gotischen Riegel nimmt sie der Besucher, der sich vom Fluss auf sie zu bewegt, wahr. Seine kolossale Erscheinung verdankt das Gotteshaus seiner erhöhten Lage und dem gewaltigen Mittelschiff, das mit 42 Metern Höhe zu den höchsten in Europa gehört. Wer sich im Inneren umsieht, kann sich vom Spiel des Lichts in den vielen Fenstern verzaubern lassen. Im Mittelalter galt Licht als Zeichen der Offenbarung Gottes. Glasmalereien vom 13. bis 20. Jahrhundert auf 6500 Quadratmetern, was in der Welt unübertroffen ist, haben der Kathedrale den Beinamen „Laterne Gottes“ eingebracht.
Nun gibt es also ein weiteres Highlight, das ein Publikumsmagnet werden soll, wie das 1977 von Renzo Piano und Richard Rogers errichtete Pariser Centre Pompidou. Einen Schock wie das Pariser Haus wird das Centre Pompidou in Metz jedenfalls kaum auslösen. Der Japaner Shigeru Ban, keiner der weltweit agierenden Promi-Architekten, legt im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die ihr Gebäude radikal öffneten, eine schützende Haut in Form eines sich ausladend wölbenden, 8000 Quadratmeter umfassenden Dachs über sein Gebäude.
Ein chinesischer Hut diente dem Architekten als Inspiration für die von einer wasserdichten Membran aus Glasfaser und Teflon beschichtete Holzkonstruktion, die sich von wenigen Stützpfeilern bis zur 77 Meter hohen Spitze ausdehnt. Das überhängende Dach schützt das Haus vor extremen klimatischen Einflüssen und garantiert einen geringen Energiebedarf. Hier entfaltet Ban, dessen japanischer Pavillon auf der Expo in Hannover für Aufsehen gesorgt hatte, seine Stärken. Der Architekt gilt als Experte für die Verwendung von sogenannten armen Werkstoffen wie Pappe oder eben Holz. Umweltschutz und Nachhaltigkeit gelten ihm mehr als gebautes Spektakel.
Das Centre Pompidou Metz soll als autonomes Museum geführt werden, das auf die riesigen Bestände der Sammlung zurückgreifen kann. Den Grundsätzen des Pariser Centre verpflichtet, wolle man mit größtmöglicher Offenheit alle aktuellen Formen künstlerischen Schaffens einem möglichst breiten Publikum präsentieren, verspricht der Leiter des neuen Hauses, Laurent Le Bon.
Sollte jetzt der Eindruck entstanden sein, Metz sei vor der Eröffnung des Centre Pompidou kulturelles Brachland gewesen, dann muss entschieden widersprochen werden. Ein signifikantes Beispiel für die Koalition aus Geschichte und Gegenwart ist die Kirche Saint-Pierre-aux-Nonnains aus dem vierten Jahrhundert. Sie zählt zu den ältesten in Frankreich. Heute wird die vormalige Turnhalle der Römer und das spätere Waffenlager als Konzertsaal oder Ausstellungsraum genutzt. Für die Studenten der Kunsthochschule ein begehrter Ort. Die frühere Kirche versteckt sich hinter der Esplanade, einem französischen Garten am Rand der Altstadt.
Auch das alte Arsenal befindet sich hier. Es bietet Theater- und Musikveranstaltungen einen besonderen Rahmen. Gegenüber der Altstadt, auf einer Moselinsel, liegt das älteste noch bespielte Theater Frankreichs. Die Lage des klassizistischen Baus aus dem 18. Jahrhundert, der sich repräsentativ an einem weit ausladenden Platz zwischen dem Temple Neuf und der Präfektur breitmacht, symbolisiert die Bedeutung, die der Kultur in Metz schon sehr lang zukommt.
Wer zu Fuß durch die geschichtsträchtige, 3000 Jahre alte Stadt mit ihren vielen herausgeputzten Plätzen zum Centre Pompidou spaziert, durchquert auch das Quartier impérial. Hier kommt man sich ein bisschen vor wie in manchen Straßenzügen im Berliner Westen – nicht zu Unrecht. Die herrschaftlichen Häuser an den breiten Boulevards sind Architektur gewordener Herrschaftsanspruch: Sie entstanden nicht etwa unter Napoleon, sondern unter Wilhelm II. Metz gehörte von 1871 bis zum Ersten Weltkrieg zum Deutschen Kaiserreich. Dass die Metzer mit den für ihre Stadt untypischen, meist neoromanischen Steinklötzen längst ihren Frieden geschlossen haben, davon zeugt der Antrag auf den Weltkulturerbe-Titel für dieses Quartier, den die Stadt bei der UNESCO eingereicht hat – allerdings bislang ohne Erfolg.
Zwar führen in Metz neuerdings alle Wege zum Centre Pompidou, aber der eine oder andere Umweg lohnt. Man kann in der Stadt etwa den Spuren des Dichters Rabelais folgen oder wenige Kilometer außerhalb im Wohnhaus des Politikers Robert Schuman in die Gründungsgeschichte der Europäischen Gemeinschaft eintauchen. Hier ist man schon in den Metzer Weinbergen. Aber das ist eine andere Kultur-Geschichte. Info: Atout France Tel. 09001/570025 Metz-Tourismus, Tel. 0033/387/555376 www.tourisme.mairie-metz.frwww.centrepompidou-metz.fr