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03. Juni 2009
18:54 MESZ

53. Biennale von Venedig

Die erste Biennale von Venedig wurde, in Anwesenheit des italienischen Königs, am 30. April 1895 im eigens dafür erbauten Palazzo dell'Esposizione eröffnet. Ab 1907 kamen die Nationenpavillons in den Giardini dazu, später Ausstellungsräume über die ganze Lagunenstadt verteilt.

Erst seit zehn Jahren ist auch das ehemals militärische Sperrgebiet des Arsenale Schauplatz für die Sehschlacht am Canal Grande. Die ersten international bedeutenden Künstler wurden 1910 gezeigt: Klimt, Renoir und Courbet; ein Bild von Picasso wurde allerdings als zu schockierend wieder entfernt. Er war erst 1948 erstmals auf der Biennale zu sehen.

Heuer werden 77 Länder ihre Künstler in den Pavillons präsentieren, Fare Mondi (Welten machen) heißt die Schau im italienischen Pavillon. Viel Star-Kult und -Kunst, u. a.von Bruce Nauman im US- und Liam Gillick im deutschen Pavillon. Viel Rahmenprogramm. Die Eröffnungspartys fallen allerdings im Krisenjahr bescheidener oder ganz aus.

Vorbesichtigung 4.-6. 6. Ab 7. 6. bis 22. 11. tägl. von 10-18 Uhr (asch)

www.labiennale.org

 

 

 

Dorit Margreiter (unten links), Elke Krystufek (oben), das Ehepaar Lois und Franziska Weinberger (unten rechts): Drei sehr unterschiedliche Positionen werden in und vor dem Österreich-Pavillon in Venedig präsentiert. Die Arbeiten sind alle vor Ort entstanden.



Jeder bleibt in seinem Zimmer
Der österreichische Pavillon wurde um einen weithin sichtbaren Komposthaufen erweitert, in "TABU" umbenannt und spielt als Kulisse die Hauptrolle in einem Film

Ganz hinten in den Giardini von Venedig riecht die Kunst. Sie lebt. Eingehaust in Sperrholzplatten findet sich da ein übermannshoher Quader aus Ästen, Laub und Grasschnitt. Ein schmaler Weg lädt zum Umrunden des akkurat geschichteten Komposthaufens ein. Der Raum ist eng. Durch blaue transparente Kunststoffplatten dringt fahl das Außenlicht. Innen dampft und modert es vor sich hin. Und riecht nach Natur - intensiv, heftig, unparfümiert.

Erwerbsgärtner verstecken diese Haufen, tarnen das Werden des Komposts hinter Hecken oder Mauern. Lois und Franziska Weinberger nicht. Sie laden zum Naherlebnis. Sie haben ihren Haufen erhoben, ihm ein Reisebehältnis gebaut. Es parkt zwischen Josef Hoffmanns Pavillon und einem Kanal. Sein Inhalt wird Venedig nicht verlassen. Wesentlich ist, den Kreislauf zu begreifen. Die Transformation unterm blauen Himmel. Und die Zeit, die das Material braucht, um wieder Erde zu werden.

Zu Beginn - Anfang April - entwickelte der Haufen eine ungeheure Hitze, erzählen die Weinbergers. An die hundert Grad Celsius hat der Kern der Installation produziert. Mittlerweile ist die Temperatur bei etwa 60 Grad stabil. Der Prozess, den die Kultur (voller Scham) in die hintersten Winkel der Gärten verbannt hat, läuft - unbeirrt vom staunenden Publikum - bis zum Ende der Biennale im Oktober.

Der Prozess nimmt sich die Zeit, die er braucht. Lois und Franziska Weinberger nennen die Hütte Laubreise. Und Laubreisen sind langsam: "Der Zerfall des Haufens erzeugt die Zeit, die es ermöglicht, einen Bruchteil der großen Veränderung zu bemerken, und den Raum der Kunst in einen Raum des Existenziellen zu verwandeln."

Zur Vertiefung in die gemeinhin unsichtbare, verdrängte, übergangene Natur haben die beiden Künstler noch ein Studierzimmer eingerichtet. Dort findet sich eine Auswahl aus dem Weinberger'schen OEuvre an Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien und Fundstücken, beginnend in den 1970er-Jahren, so etwa das schön gerahmte Kreuz aus Fliegenfängern: Eine heute aus der Mode gekommene Kulturtechnik war das Fangen von Fliegen mittels Klebestreifen, die gerne in Küchen oder über Esstischen angebracht wurden. Natürlich sind die derart feig erlegten Stubenfliegen des Jahrgangs 1976 unverzichtbarer Teil des Objektes. Und gehören - wie der Komposthaufen - ausgestellt und nicht versteckt.

Kunst, Natur und Tabu

Auch die beiden anderen Künstlerinnen, die Valie Exports und Silvia Eiblmayers Einladung nach Venedig gefolgt sind, haben vor und mit dem Ort gearbeitet. Elke Krystufek hat ihre Installation als versuchten Tabu-bruch angelegt. Zunächst wurde der Pavillon von "Austria" (geschrieben in roten Versalien) in ein blaues "TABU" umgetauft, woraus man eine recht bemühte Kritik am Konzept der nationalen Pavillons ableiten kann.

Im Inneren greifen ihre malerischen und zeichnerischen Gesten und ihre Notate über die Leinwände hinaus Raum, markieren etwa das einfallende Licht (und damit die Tageszeit) oder färben dort, wo auch die Gläser mit Farbe überzogen sind, den Raum.

Akte eines ideal schönen Mannes geben die Richtung an: Es gilt wieder einmal, den männlichen gegen den weiblichen Blick zu tauschen, die Klischees von Schönheit zu hinterfragen, das Was und Wie einer weiblichen Schaulust zu erforschen - und an Polynesien zu denken, die mythischen Inseln, auf denen das Leben und die Sexualität einst "befreit" gewesen sein sollen - zumindest in Friedrich Wilhelm Murnaus 1931 gedrehtem Film Tabu. In Dorit Margreiters Installation Pavillon spielt dieser als Kulisse die Hauptrolle. In langen Einstellungen werden tiefe subjektive Blicke auf Hoffmanns Architektur geworfen: Auftritte einer schrillen Performancekünstlerin beleben das grobkörnige 35-mm-Schwarz-Weiß zum Einfühlen.

Wer will, kann "Zeit" oder "Struktur" oder "(gesellschaftliche) Ordnung" als Orientierungshilfe bei der Suche nach dem verbindenden Element zwischen den drei Positionen verwenden. Letztlich bleiben es doch drei Einzelpräsentationen, die sich eher im Weg stehen, als dass sie viel gemein haben. Vorsichtshalber bleibt dann jeder in seinem Zimmer: Elke Krystufek im üppig dekorierten Studio im rechten Flügel. Dorit Margreiter im Kinoraum. Und die Weinbergers sitzen im Garten. (Markus Mittringer aus Venedig / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.6.2009)

 

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