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derStandard.at | Newsroom | Kultur | Bildende Kunst 
15. Februar 2009
18:39 MEZ

"Vanishing Lessons" von Markus Schinwald.


Ohne Boden unter den Füßen
Markus Schinwald spielt gelungen mit Raum und Körper als Spiegel seelischer Befindlichkeiten - Dem Besucher dient dies als Folie eigener Erfahrungen

Bregenz - "Mir ist gerade nicht nach Boden." - "Dir ist nie nach Boden", seufzt die Frau in Richtung der vom Schrank herabhängenden Männerbeine. Später wird ebendieser Mann am Schrank sich ein Genie nennen und giftigen Spott ernten: "Genie sein, heißt Fremdeinflüsse zu verdauen, bis davon nichts mehr sichtbar ist. Und du, du bestehst nur aus Fremdeinflüssen!" Für diese und ähnliche Dialoge, die einiges an Neurosen und psychologischen Befindlichkeiten preisgeben, hat Markus Schinwald im Kunsthaus Bregenz drei bühnenartige Settings eingerichtet und so, wie viele andere Künstler vor ihm, auf die dominante Architektur Peter Zumthors mit dem Erschaffen eigener Räume reagiert.

Schinwalds Eingriffe erinnern an TV-Studios für die Aufzeichnung einer Sitcom: Vor den Bühnenkulissen mit ihrem zu komödiantischen Einlagen bereiten Möbeln stehen Kameras bereit, über den mobilen Zuschauerrängen mit den Plastik-Sitzschalen hängen Monitore. Mit dem Genre Sitcom hat sich der 35-jährige Künstler, der den Körper stets als Projektionsfläche seelischer Zustände des Unbehagens einsetzt, vor drei Jahren schon einmal beschäftigt. Das Tanzquartier Wien bestellte bei Schinwald, der auch im zeitgenössischen Tanz- und Performancebereich zu Hause ist, eine Textcollage. Inspiriert von einer miterlebten Sitcom-Produktion in Los Angeles adaptierte er das Thema für Wien.

In der US-Produktion wurde auch noch nach der zigsten Wiederholung einer Szene, oder wenn sich der Kameramann schnäuzt, gelacht, erzählt Schinwald: "Das Lachen blieb bei mir völlig aus. Ich habe den Blick des intellektuell geschulten Publikums vergessen", erklärt Schinwald sein Scheitern: "Was klug gemeint ist, muss auch klug aussehen. Hätte ich eine Stunde lang Godard gespielt, hätte ich jetzt neue Freunde." Für Bregenz hat Schinwald darauf verzichtet, Lacher produzieren zu wollen.

Bereits bei der ersten öffentlichen Aufzeichnung wurde er aber prompt damit belohnt. Noch zweimal wird in den verbliebenen beiden "Studios" gefilmt, dennoch sind diese möblierten Räume keine Leerstellen oder Platzhalter, die auf die Vervollkommnung durch die Spielszenen harren. Das, was in einem Stockwerk passiert, habe auch für die anderen Geschoße Gültigkeit, betont Schinwald ein anderes wesentliches Moment seiner Arbeiten - jenes von Verschiebung und Überlagerung.

Die Ouvertüre zu seinen "Vanishing Lessons" beginnt indes im Foyer des Erdgeschoßes und greift so die ursprüngliche Dramaturgie des Hauses auf. Das Moment der Spiegelungen, das sich durch alle Ebenen zieht, führt Schinwald mit einem Spiegel im Rücken der Kassiererin ein: Auf der Spiegelfläche wird der auf dem T-Shirt aufgedruckte Titel der Ausstellung sichtbar: ein filmisches Moment, denn mit dem Ende der Interaktion endet auch die Titel-Einblendung. Im ersten Geschoß spiegelt sich der gesamte Raum: Der bürgerliche Salon, der das Familiäre als Ort der Inszenierung andeutet, hat einen eher derangierten Zwilling.

Das Turnzimmer

Ein Stockwerk höher fängt eine Straßenszene mit zerteilter Kutsche die brüchige Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ein. Hier wird die Verdoppelung über die handelnden Figuren erfolgen. Und das Turmzimmer wird zum Turnzimmer: Reale Spiegel fangen das existenzielle Turnen der Darsteller an Schwebebalken und Reck ein. Matten sind hier keine ausgelegt. Verletzungsgefahr droht aber vermutlich nicht allein durch die Sportgeräte, denen mitunter die ballettösen Füße eines Chippendale-Sessels untergeschraubt sind.

Der Zuschauer wandelt durch Möbel, die mit dem Hammer brutal dekonstruiert oder als laszive Stuhlbein-Skulpturen "falsch" zusammengebaut wurden, verlässt die Tribüne und damit den Zwang des Passiven. Er wird Zeuge von Verschiebungen, die sich erst in der Nahsicht enttarnen: so wie jene edlen Porträtgestalten des 19. Jahrhunderts mit ihren folterhaften Bartbinden und bissigen Maulkörben. Entscheidend ist, dass aus dem Beobachten psychischer Qualen und körperlicher Verbiegungen, ein Durchleben, Anpassen an eigene Seelenzustände wird. (Anne-Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe, 16.02.2009)

Bis 13. April

 

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