Kultur.Gesellschaft.Kritik

Okwui Enwezor lud vornehmlich gesellschaftskritische Positionen internationaler Kunst nach Kassel ein.


Als der Kasseler Kunstprofessor Arnold Bode 1955 die erste documenta veranstaltete, sollte Deutschland wieder den Anschluss an die von den Nationalsozialisten verteufelte Moderne erhalten. Die Bundesrepublik sollte Schauplatz zeitgenössischer - vor allem europäischer - Kunst werden. Nun, fast ein halbes Jahrhundert später auf der 11. documenta, hat sich das Spektrum dermaßen erweitert, dass Kunst aus allen Erdteilen zu sehen sein wird.

Für den künstlerischen Leiter der documenta 11 Okwui Enwezor spielte aber die nationale Herkunft der ausgestellten Künstler keine Rolle. Wichtig allein sei, dass die Künstler sich mit den spezifischen gesellschaftlichen Problemen der jeweiligen Erdteile auseinandersetzten. Ein Ansinnen, das er bereits durch die im Vorfeld stattfindenden "Plattformen" unterstrich.

Die Plattformen

Ein Jahr vor der eigentlichen Kasseler Schau fanden in New Dehli, in Lagos, auf der Karibikinsel St. Lucia sowie in Berlin und Wien Diskussionen zu Fragen der Demokratie, der Rechtssysteme und den Problemen der Urbanisierung statt. Diese Symposien erregten im deutschen Feuilleton Aufsehen, stellte sich doch die Frage, wann würde man sich endlich mit Kunst beschäftigen und überfrachtete der politische Diskurs nicht das eigentliche Thema der documenta, die weltweite Kunstschau?

Keine internationale Debatte im Vorfeld

Eine internationale Debatte über die Situation der modernen Kunst trat Enwezor trotz seines gewichtigen Vorprogramms nicht los. Man darf gespannt sein, ob die ausgestellten Künstler eine solche Debatte in Gang bringen können. Die Auswahl der Künstler erfolgte aber nach ihrer gesellschaftskritischen Position, wie die Beiträge von Luc Tuymans, Georges Adeagbo und Jean Marie Teno zeigen, um nur einige zu nennen.

Die Vorläufer

Mit der Thematisierung von sozio-kulturellen Zusammenhängen und politischen Interdepenzen knüpft die documenta 11 bereits an die von Catherine David eingeschlagene Richtung der documenta 10 von 1997 an. Ihr eigentlicher Vorläufer ist aber die wohl spannendste und politisch wichtigste Kasseler Schau - die documenta 5 von 1972. Damals wurden erstmals das rotierende Kuratorprinzip eingeführt und Harald Szeemann gestaltete eine Schau, die sich der Isolierung der Kunst von Gesellschaft und Politik entgegenstellte. Politisch engagierte Künstler protestierten damals gegen staatliches Gewaltmonopol, gegen behübschte Familienkunst, gegen die nationalsozialistische Vergangenheit von öffentlichen Personen, sowie gegen Folter und Diktatur in Südamerika.

Möglicher Ausblick

Wie sehr die Beiträge der documenta 11 die Weltsicht auf Kunst und Gesellschaft verändern können, wird sich wohl erst nach dem 15. September mit einiger Gewissheit sagen lassen. Jetzt schon aber ist der Verzicht auf einen eurozentristischen Blick feststellbar. Ob die Themen Nord-Südgefälle, Globalisierung und ein von westlichen Kunstmarktprinzipien beherrschter Kunstbetrieb durch Kunst aus allen Kontinenten darstellbar werden, ist mit Spannung zu erwarten.

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