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Ausstellung MAK: Aus Diktators Märchenbuch

18.05.2010 | 19:25 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Ohne es dezidiert zu wollen, zeigt das MAK "Blumen für Kim Il Sung" eine sehenswerte Entmystifizierung von Nordkoreas Propagandakunst. Immerhin vier Jahre lang haben die Vorbereitungen für diese Ausstellung gedauert.

Warum? Diese Frage verfolge ihn, so MAK-Direktor Peter Noever am Dienstag. Mehrmals wurde sie ihm von den Vertretern Nordkoreas gestellt, die offenbar nicht glauben konnten, dass ein westliches Kunstmuseums ihrer Propagandakunst ohne „regimefeindliche“ Hintergedanken ein internationales Forum zur Verfügung stellt. Und mehrmals wurde „Warum?“ von hiesigen Politikern und Medienvertretern gefragt, die nicht glauben konnten, dass ein westliches Kunstmuseum der Propagandakunst der stalinistischen Paradediktatur ein internationales Forum zur Verfügung stellt. Ohne regimefeindliche Hintergedanken.

Beide Fragen sind berechtigt. Wer sich von der ab heute geöffneten Ausstellung „Blumen für Kim Il Sung“ in der großen Obergeschoß-Halle des MAK aber eine klare Antwort, gar ein eindeutiges politisches Statement des Museums erhofft hat, wird enttäuscht werden. Mit Politik will Noever nämlich nichts am Hut haben. Hier gehe es rein um Kunst, betont er.

Doch was heißt das im Fall einer bis ins Letzte politisch kontrollierten Kunstproduktion? Zum großen Teil das, was man sich selbst ausmalen konnte: gnadenlos perfekte Propagandakunst mit gnadenlos glücklichen Menschen. Strahlende Schulkinder, strahlende Soldaten, strahlende Bäuerinnen und strahlende Straßenfegerinnen, die durch Pjöngjangs strahlend saubere Straßen schreiten. Mittel- bis großformatige Bilder in Öl, Aquarell und Tusche, die in ihrer glatten, lieblicheren koreanischen Variante des Blut-und-Boden-Sozialistischen-Realismus aussehen, als wären sie direkt aus des Diktators Märchenbuch entsprungen.

 

Künstler zum Diktat!

Wie dieser Vorgang des „Entspringens“, die Kommunikation zwischen „Großem Führer“ und Künstlerschaft aussieht, zeigt ein Ölbild aus den 70er-Jahren: „Präsident Kim Il-sung bei den Kunstschaffenden“, gemalt von einer anonymen „Künstlervereinigung“, zeigt den 1994 verstorbenen „Ewigen Präsidenten“, wie er in büroartiger Atmosphäre freundlich inmitten einer Schar von (vorwiegend) Herren in Anzug sitzt. Sie halten den Block in den Händen und den Stift gespitzt – zum Diktat bitte. Der Inhalt müsse „sozialistisch“ sein, das heißt der nordkoreanischen Variante, der Chuch'e-Ideologie, folgen. Die Form müsse „national“ sein, das heißt realistisch und am besten in der lokalen Technik der Tuschmalerei ausgeführt. So hat es Kim Il-sung in den 70er-Jahren jedenfalls festgelegt. Und bis heute scheint sich daran nichts geändert zu haben. Das zeigt der „repräsentative Querschnitt“ aus rund 100 Bildern, den Kuratorin Bettina M. Busse gemeinsam mit dem Direktor der Nationalgalerie Nordkoreas festgelegt hat.

 

Beschneiden verboten!

Zu den Besonderheiten dieser Auswahl zählt die Gruppe der Führerporträts, zu der auch „Kim Il-sung bei den Kunstschaffenden“ zählt. Selbst im Nationalmuseum sind immer nur drei, vier davon ausgestellt. Für Wien durften gleich zwölf Bilder dieses „Nationalschatzes“ erstmals ausreisen. In eigenen, leichter überwachbaren Kojen werden sie im MAK präsentiert, Kordeln gleich am Kojeneingang sorgen für einen ungewohnt großen Sicherheitsabstand. Was sowohl auf die Versicherungssumme hinweist als auch darauf, dass die Porträts Kim Il-sungs und seines Nachfolgers Kim Jong-il in Nordkorea als Heiligtümer gelten. Die westlichen Medien bekamen das im Vorfeld zu spüren – das MAK stellte keines dieser Bilder als Pressematerial zur Verfügung. Seit der Eröffnung scheinen sie zumindest auf Raumeindrücken auf – Beschneiden verboten.

Die zwei Diktatoren lassen sich als Vaterfiguren inszenieren, schreiten gemeinsam durch den Schneesturm „auf dem Weg für das Volk“, sitzen bis spät nachts (wie Kaiser Josef II. als oberster Beamter) am Schreibtisch oder umarmen auf einer Parkbank die „glücklichsten Kinder der Welt“. Der Zynismus dieser Motive ist nur schwer zu ertragen, denkt man an die Berichte internationaler Menschenrechtsorganisationen: Hungersnöte, Exekutionen, Todeslager – eine Situation, die in der Ausstellung keine Erwähnung finden kann und darf, weder in Texten noch in Bildern. Das ist der Preis, den das MAK für die Kollaboration zahlen muss.

Umso missverständlicher mutet an, wenn Peter Noever bei der Pressekonferenz das „Verbindende“ der Kunst „hier wie dort“ betont: nämlich die Eigenschaft von Kunst, über die Gesellschaft zu informieren, in der sie hergestellt wird. Genau das dürfen sich Nordkoreas Künstler aber im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen nicht erlauben. Zieht man hier eine Metaebene ein, setzt man bei den Besuchern alle Informationen über Nordkorea stillschweigend voraus – erzählt zumindest diese Ausstellung als solche, als Bild eines Selbstbilds, vom Zustand dieses Landes, von den Repräsentationsformen einer Diktatur. Für ein authentisches Bild hätte man den Nordkoreanern allerdings völlig freie Hand lassen müssen bei Auswahl, Gestaltung, Bildtexten (die bei der Presseeröffnung noch nicht fertig waren).

 

Hoch muss es sein!

Was trotz aller ethischen Bedenken fasziniert, sind zwei Dinge: Die Zufälligkeit, dass der seit Jahrzehnten zu glatter Perfektion verfeinerte vorherrschende Stil nordkoreanischer Propagandamalerei oberflächlich einigen populären Strömungen auf dem Kunstmarkt ähnelt (Leipziger Schule, neue Malerei aus China). Und die Parallelen der Propagandakünste linker wie rechter Regime: Die Liebe zu monumentaler Architektur etwa – das MAK ließ ein Modell des Chuch'e-Turms, des „höchsten Granitsteinturms der Welt“, anfertigen. Die an einer Wand vergleichsweise knapp dargestellte Plakatkunst steht dem holzschnittartigen Sozialistischen Realismus am nächsten. Und der Hang zu Fortschrittskitsch ist ebenfalls redundant – das „Abendrot über Kangson“ etwa, ein blutroter Himmel hinter einer riesigen Fabrikanlage, angeblich ein „Klassiker“ der nordkoreanischen Moderne.

Vier Jahre lang haben die Vorbereitungen für diese Ausstellung gedauert. Jetzt gibt es zum bisher einzigen, 2005 veröffentlichten wissenschaftlichen Standardwerk zur nordkoreanischen Kunstproduktion (siehe Profil) also die Standardausstellung. Was durch diese nicht geschehen wird, ist eine Öffnung des Landes, eine Verbesserung für die Künstler in Nordkorea selbst. Was sich durch sie im Westen aber verändern kann, durch die Selbstenttarnung als durchschnittliche Propagandakunst, ist trotzdem zu schätzen: Die Kunstwelt hat einen falschen Mythos weniger zum Anbeten.


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