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Museum of Modern Art
Eine bestimmte Lesart der Moderne
Von Thomas Wagner, Berlin

17. Februar 2004 Der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, taugt wenig zum Propagandisten einer neuen Bescheidenheit. Er verspricht das Ultimative: "Alles wird MoMA sein." Prophet, der er zudem ist, weiß er schon jetzt: "Es wird eine Jahrhundertausstellung und das Kulturereignis des Jahres 2004."

Weniger als solch werbende Übertreibung darf offenbar nicht sein, wenn das New Yorker Museum of Modern Art zweihundert Meisterwerke aus seinen Depots nach Berlin verfrachtet, damit sie ab dem kommenden Freitag sieben Monate lang in Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie bestaunt werden können.

"American season 2004"

Wenn Cézannes "Badender" oder van Goghs "Sternennacht", wenn der "Tanz" von Matisse sowie weitere vierzehn Werke des Künstlers anreisen, wenn "Masterpieces" von Balthus, Hopper, Boccioni, Braque, Gauguin und Picasso paradieren und Max Beckmann im "Selbstbildnis auf gelbem Grund mit Zigarette" die Hand mit dem Glimmstengel in einer Geste erhebt, die Unheil abwehren soll, dann verbietet sich die Frage, ob eine solche Mega-Transaktion überhaupt sinnvoll ist, von selbst.

Es geht ohnehin weniger um Kunst als um Politik, weshalb Joschka Fischer und Colin Powell, der deutsche und der amerikanische Außenminister, als Schirmherren auftreten, damit kein Frühjahrsgewitter die zugleich mit der Schau ausgerufene "american season 2004" verhagele. Auch die Kulturstaatsministerin hofft, die Schau möge einen Beitrag zur Verbesserung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses leisten.

Nicht nur positive Zeichen

Wo in der Politik weiter Eiseskälte herrscht, soll die Kultur für laue Frühlingsluft sorgen. Einen solchen transatlantischen Schulterschluß im Zeichen der Moderne läßt man sich auch in Zeiten schrumpfender Kulturausgaben gern etwas kosten. Offiziell beträgt der Etat 8,5 Millionen Euro. Die Bundesregierung übernimmt per Staatshaftung die Versicherung, und die Deutsche Bank schießt eine Million Euro zu. Das Risiko, am Ende mit einem Defizit dazustehen, bleibt. Denn soll das Spektakel nicht zu einem finanziellen Desaster werden, bedarf es wenigstens 550.000 zahlender Besucher. Bescheiden, wie man in Berlin nun mal ist, erwartet man 700.000.

Doch braucht Berlin eine solche Parade der Meisterwerke? Impulse für die eigene Sammlungspolitik sind von ihr kaum zu erwarten, zumal die Schau dem synästhetischen Ansatz des MoMA widerspricht und nur Gemälde und Skulpturen zeigt, Film, Fotografie, Architektur und Design aber ausblendet. So setzt das großartige Ereignis nicht nur positive Zeichen.

Berliner Werke lediglich Dispositionsmasse

Muß eine finanziell ohnehin klamme Institution dem MoMA mit Millionen von Euro Leihgebühr - über die Höhe schweigt man - bei seinem Umbau unter die Arme greifen und helfen, Lagerkosten zu sparen, statt die enorme Summe in notwendige Erkundungen der eigenen Sammlung oder in Neuerwerbungen zu investieren? Niemand wird etwas gegen ambitionierte Vorhaben und lukullische Genüsse einwenden. Doch aus der atlantischen Transaktion spricht eher Kleinkrämerei, die sich Glanz auf Zeit ausleiht, den selbst zu entfalten sie sich offenbar nicht zutraut.

Denn was eine in die Zukunft weisende Neuordnung der Berliner Sammlungen angeht, so ist noch immer kein tragfähiges Konzept in Sicht. Statt abermals "Blockbuster" einzukaufen, müßte Schuster endlich sein Konzept präzisieren und neue Präsentationsformen und Kombinationen erproben. Alle bisherigen Überlegungen verschieben die Berliner Werke lediglich als Dispositionsmasse einer ängstlichen Museumspolitik und begreifen sie nicht als gewachsenen Fundus, aus dem sich vortreffliche Ausstellungen entwickeln ließen. Eine "Bildungslandschaft", wie sie Schuster für die Museumsinsel vorschwebt, entsteht ebensowenig von selbst wie eine kluge Präsentation der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Bestände der Nationalgalerie werden unterdessen immer diffuser und verlieren mehr und mehr an Profil.

Effizient, wissenschaftlich und gewagt

Auch konservatorisch bleibt die Operation MoMA bedenklich. Bei aller Sorgfalt rückt die Materialität der Werke wenigstens an die zweite Stelle. Nicht so sehr der künstlerische Wert der Werke zählt, sondern einzig deren Zirkulation als Ausstellungsware. Und auch Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, die sich seit langem in nicht gerade gutem Zustand befindet, wird durch den Ansturm der Besuchermassen nicht schöner werden.

Museumspolitisch bedeutet die Entscheidung, die Sammlung des MoMA zu präsentieren, eine bestimmte Lesart der Moderne zu favorisieren. Dabei geht es immerhin um die Reaktivierung nicht irgendeines, sondern des Kanons westlicher Kunst. Daß der Gründungsdirektor des MoMA, Alfred H. Barr Jr., bei seinem herkulischen Versuch einer Stilbildung innerhalb der Moderne wesentlich von Erfahrungen profitierte, die er in Europa machen konnte, tritt dabei in den Hintergrund. Lange wurde im MoMA eine Museumsarbeit betrieben, die effizient, wissenschaftlich und gewagt sein mußte, um sich mit Europa messen zu können. Inzwischen verteidigt man in New York freilich die eher problematische Vorstellung, Kunstgeschichte sei eine Folge grandioser formaler Innovationen, die moderne Malerei das Bollwerk des Individuellen und ein Zeichen gesellschaftlicher Freiheit.

Ob das MoMA auch heute noch zum Vorbild taugt, ist also fraglich. Sofern man sich in Berlin aber nicht auf den Genuß ausgewählter Werke beschränkte, sondern die Schau zum Anlaß nehmen wird, die Wurzeln der Politik einer Kanonisierung der modernen Kunst unter die Lupe zu nehmen, wäre viel gewonnen.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.02.2004, Nr. 41 / Seite 33
Bildmaterial: MoMA

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