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Kunsthaus Graz: Vier Dimensionen, keine These

18.02.2010 | 18:36 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

„Catch Me! Geschwindigkeit fassen“: bemerkenswerte Werke von Kinetisten und Zeitgenossen – in einer Themenausstellung, der es an einer These fehlt.

Ein kleines, raketenbetriebenes Auto rast los, wirft eine Flasche um, was den Topf in Brand setzt und das Fass zum Rollen bringt, wodurch ein Stuhl auf ein Brett fällt und eine Zündschnur entfacht. In einer halbstündigen Kettenreaktion nach den Gesetzen der Physik und der Chemie brennen, schäumen, krachen und kippen in schneller Folge Pinsel, Eimer, Bretter und Reifen. Vor gut 20 Jahren, 1987, landete das Schweizer Künstlerduo Peter Fischli & David Weiss mit diesem Video auf der Documenta 8 einen bis heute anhaltenden Publikumsrenner. „Der Lauf der Dinge“ ist ein Film über „schön“ und „richtig“, über „Schuld und Unschuld“, wie Fischli & Weiss einmal sagten. Im Kunsthaus Graz steht jetzt aber ein anderer Aspekt des Films zur Debatte: die Geschwindigkeit.

„Catch Me! Geschwindigkeit fassen“ ist der Titel der Ausstellung. Mathematisch gesehen ist Geschwindigkeit (zurückgelegter) Weg durch (verstrichene) Zeit. Raum und Zeit, das sind die Achsen unserer Weltwahrnehmung, gleichermaßen höchst abstrakt und in Tausenden von individuellen Erlebnissen immer wieder ganz konkret. Alles kann auf diese beiden Kategorien herunterbuchstabiert werden. Raum und Zeit sind auch zentrale Grundthemen der Kunst, immer wieder wollen Kunstwerke sie bewusst erlebbar machen.

Das Thema ist also sehr breit angelegt. Mit dem „Lauf der Dinge“, verstärkt durch Roman Signers „Wettlauf mit einer Rakete“, Lisi Raskins raumgreifendes Raketenabschussrampen-Gelände und Carsten Höllers Vorschläge für riesige Rutschen an Gebäudefassaden, wird das große Feld zunächst einmal auf „Schnelligkeit“ geschrumpft.

 

Die Farben fließen langsam

Konsequent stehen diesen Zeitgenossen Werke aus dem Kinetismus zur Seite, jener österreichischen Avantgarde, die sich Anfang des 20.Jahrhunderts für Geschwindigkeit und Bewegungsabläufe begeisterte. Solche Gegenüberstellungen sind spannend, denn so können wir nach der historischen Entwicklung dieser Faszination fragen.

Was also ist die aktuelle Sicht? Christian Eisenberger kombiniert eine zeitmessende Waage mit seiner Malmaschine, in der die Farben langsam Leinwände hinabfließen. Lu Qing malte 365 Tage lang täglich ein kleines Quadrat auf ein fast fünf Meter langes Seidentuch und über allem schweben die riesigen lila Kugeln von Xavier Veilhans Mobile, die sich gemächlich bewegen. Schnelligkeit trifft also auf Langsamkeit. Das ist banal.

Von 20 interessanten KünstlerInnen sind bemerkenswerte Werke ausgestellt, die in der schwierigen, weil viel zu theatralischen Architektur des Grazer Kunsthauses überzeugend präsentiert sind und daher auf den ersten Blick eine schöne Schau ergeben; aber thematisch ist sie eine Enttäuschung. Eine Themenausstellung benötigt eine These, sonst wird der Fokus belanglos und die Auswahl beliebig. In der Gegenüberstellung mit dem Kinetismus klingt ein spannender Aspekt an. Die KünstlerInnen jener Epoche waren begeistert von Rhythmus und Geschwindigkeit als Gefühl, als Ausdruck einer Befreiung und neuer Möglichkeiten. Unsere Zeitgenossen scheinen Geschwindigkeit eher zu versachlichen. Das könnte mit den Mitteln einer Ausstellung untersucht werden. Stattdessen spricht der Pressetext von „Sehnsucht“ und „Hochgefühl“ – das sind schöne Versprechen, die aber in der Auswahl nicht eingelöst werden. Da finden dann anders als in „Lauf der Dinge“ „schön“ und „richtig“ leider nicht zusammen.

Bis 16.Mai, Di bis So von 10 bis 18 Uhr.


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