Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte

Ich pinkle, also bin ich

Aufzählung (cai) Wo Godzilla hintritt, wächst bekanntlich kein Japaner mehr. Aber das ist gar nichts. Denn wo Stephan Reusse hin pinkelt , da wächst kein .. . ach nein, da wächst eh was. Das ist ja grad die Sensation. Sofort sprießt ein Blümchen empor. Als hätte er magisches Substral (das Dopingmittel für Pflanzen) in der Blase. Kommt mir sowieso alles wie Magie vor.

Doch während herkömmliche Zauberer ein völlig verstörtes Kaninchen aus einem Hut zerren, holt Reusse aus besagter Kopfbedeckung lieber den Joseph Beuys heraus. Und einem leeren Stück Papier entlockt er einen Elefanten. (Nein, keinen Origami-Elefanten.) Ein Video in der Galerie Feichtner zeigt den Vorgang: Reusse tunkt einen Besen in einen Kübel mit Harnsalzen ein, kehrt über eine weiße Fläche drüber, auf der plötzlich ein Elefant erscheint. Okay, kein echter, bloß ein Foto. Natürlich war der schon vorher da. Reusse hat ihn mit chemischen Mitteln verschwinden und nachher ebenso wieder auftauchen lassen. So hat er’s auch mit den Blumen gemacht und mit dem Hut auf dem Kopf vom Joseph Beuys. Alles Fotos, die er mit seiner gewagten Bewässerungstechnik "entwickelt" hat. Oft hat er einfach draufgepinkelt. (Aha, kein Ismus, ein Pissmus!)

Dann wird’s paranormal. In leeren Betten und Zimmern stöbert er mit einer temperaturempfindlichen Kamera die Wärmerückstände von Personen auf, die den Raum längst verlassen haben. Leintücher und Luft haben ein Kurzzeitgedächtnis. Die vergessen uns erst nach Minuten. Reusse ist halt der David Copperfield der Fotografie. (Oder der Uri Geller?) Meine überschwängliche Begeisterung für diesen Mix aus Kunst und Hightech könnte aber auch lediglich von meiner Naivität herrühren. Für mich ist ja schon eine elektrische Zahnbürste ein Wunder.

Galerie Feichtner

(Seilerstätte 19) Stephan Reusse Bis 6. Dezember Di. – Fr.: 10 – 18 Uhr Sa.: 10 – 16 Uhr

Im Kopf des Schweindls

Aufzählung (cai) Man ist ja vorgewarnt: "Zutritt zur Installation ab 18 Jahren." Na ja, vielleicht hätte man auf das Schild noch schreiben können: "Vor dem Eintreten Nase zuhalten." Denn das könnte immerhin die Psyche eines Perversen darstellen, was Bjarne Melgaard da in einem separaten Raum der Galerie Krinzinger aufs Brachialste improvisiert hat. Das Aroma haut einen jedenfalls fast um. Blut? Nein, eh nicht. Aber penetrante Lösungsmitteldämpfe schweben über dem Chaos. Skalpelle, Tschick, Fotos von romantisch verklärten Knaben, Skulpturen von Hardrockern mit heruntergelassenen Hosen. Sollte es Melgaards Absicht gewesen sein, sich empathisch in das Es eines pädophilen Black-Metal-Fans und schwulen Kettenrauchers mit bedenklichen chirurgischen Fantasien hineinzuversetzen, so ist ihm das mit dieser beeindruckenden Sauerei verdammt gut gelungen. Der Rest der Schau: Naive Gemälde von Dialyseszenen. Und Sofas, deren Bezugsstoff voller Kreaturen ist, die an Priapismus leiden. Zur zwanghaften Anhäufung von Erektionen fällt mir jetzt ganz spontan ein Wort ein: Pubertät.

Galerie Krinzinger

(Seilerstätte 16) Bjarne Melgaard Bis 16. Jänner Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr Sa.: 11 – 16 Uhr

Rülpsender Romantiker

Aufzählung (cai) Es gibt Leute, die schmachten einen Sonnenuntergang an, kriegen plötzlich Panik (denn es könnte sich ja um Kitsch handeln und Kitsch ist pfui) und glauben, das Beste, was sie in dieser kompromittierenden Situation tun können, ist: demonstrativ rülpsen. Harald Gangl dürfte so einer sein. Die fremdkörperartigen Gesten in seinen unglaublich perfekten Farb-Idyllen scheinen zu sagen: "Das ist gar keine Landschaft. Das ist abstrakt. Wenn Sie einen romantischen Teich erkennen, ist das Ihr Problem." Tja, die "Rülpser" machen die Bilder endgültig unwiderstehlich.

Galerie Frey

(Gluckgasse 3) Harald Gangl Bis 12. Jänner Mo. – Fr.: 11 – 19 Uhr Sa.: 10 – 16 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 03. Dezember 2008

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