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29.08.2005 - Kultur&Medien / Kultur News
Nachruf: Irritierendes poetisches Kraftwerk
VON KURT BARTSCH
Der Grazer Autor Wolfgang Bauer ist 64-jährig gestorben.

I
ch liebe die Kunst, weil sie mich liebt" - nichts Schöneres als dieses Selbstbe kenntnis von Wolfgang Bauer lässt sich über die Existenz dieses Dichters sagen, der am 26. August in seiner Heimatstadt Graz 64-jährig allzu früh verstorben ist. Wer je eine Bauer-Performance erlebte, wer erlebte, wie er eine Lesung, einen Pub-Besuch zu einem Kunstereignis werden ließ, weiß, dass Kunst für ihn gleich Leben war.

Bauer, ein poetisches Kraftwerk, das in den 1960er Jahren mit Freunden im Forum Stadtpark Graz und in den "manuskripten" den verspäteten Aufbruch aus kultureller Provinzialität in die Moderne mit Vehemenz vorantrieb, provozierte das bürgerliche Publikum. Vordergründig irritierte das dargestellte bohèmehafte Milieu - im Erfolg von 1968, "Magic Afternoon", auch in "Change" (1969) und den "Gespenstern" (1973) - sowie die "lockere", normverletzende Umgangssprache, tatsächlich irritierte jedoch die Infragestellung eingefahrener ästhetischer Vorstellungen. Schon 1965 verkündete er mit seinem engsten Freund, dem 1983 noch früher als allzu früh verstorbenen Gunter Falk, das "1. Manifest der HAPPY Art & Attitude", ein "unernstes" Programm zur "Happisierung" der Wirklichkeit, das gegen die Unterdrückung des Lustprinzips und für ein herrschaftsfreies Leben im Sinne Herbert Marcuses, ja für eine romantische Poetisierung der "unhamlich schiach" empfundenen "Wölt" ("Magic Afternoon") plädiert.

Beim frühen Bauer der Einakter und Mikrodramen - bis zu "Party for six" (1967), einem Art Metavolksstück mit antivoyeuristischem Programm, das statt der berühmten vierten Wand im Theater gewissermaßen die "falsche" Wand einreißt - lässt sich eine "experimentelle" Haltung in dem Sinn beobachten, dass vorgefundene Bedingungen und Verfahrensweisen des Theaters spielerisch und doch planmäßig methodisch "überprüft" werden.

Die Reflexion auf das Theater setzt sich jedoch auch fort in den Erfolgsstücken. Deren Provokation liegt darin, dass Bauers Dramaturgie der Perspektivelosigkeit entspricht, der sich die dargestellten Figuren in ihrer Existenz ausgesetzt fühlen, und dass das Publikum damit ungeschützt konfrontiert wird. Diese Stücke lassen die gewohnte Rezeptionssteuerung und Orientierung vermissen. Darin absolutes Negativ der klassischen Tragödie, kennen sie kein Sinnzentrum, keinen verbindlichen Wert, keine Moral. Das Dasein erscheint absurd. Die Verweigerung jeglicher Festlegung der Gestalten, ihr Sich-Abschließen von der Außenwelt, erweisen sich als tödliche Ausweglosigkeit. Die Finali können folgerichtig auch nicht die Harmonie einer Ordnung wiederherstellen, eben weil es keine Ordnung gibt, die gestört wäre, sondern nur eine "Unordnung", die "nicht genial, nicht angenehm, sondern nervös" ("Magic Afternoon") ist.

Von den "Magnetküssen" (1975) bis zu den letzten Dramen schlägt der "Provokateur" einen anderen Weg ein. Er stellt das Funktionieren des raum-zeitlichen Koordinatensystems, mit dem man die Realität in den Griff zu bekommen meint, total in Frage. Als "Doppelbewegungssurfer" ("Das Lächeln des Brian dePalma", 1988) verfehlen seine Figuren jeden Punkt, der Sicherheit bieten könnte über die Wirklichkeit.

Das paradoxe Bild vom Doppelbewegungssurfen erfasst sehr treffend den Bewusstseinsschwindel, der aus der Unsicherheit der Wahrnehmung von Raum und Zeit resultiert. Bauers Gestalten wissen nicht, ob sie sich in der Wirklichkeit bewegen oder in einer Traumwelt oder versetzt sind in eine mythische Welt, oder fiktive Welt (etwa des Films). Das Publikum soll, dem unvermittelt ausgesetzt und wieder orientierungslos gelassen, vom selben Schwindel erfasst werden. Die Irritationen können nicht aufgelöst werden, da sich die Ebenen in einer Endlosschleife verwirren. Wie eine Endlosschleife der Irritation erscheint Bauers dramatisches Werk seit den "Magnetküssen". Das Doppelbewegungssurfen findet keinen Halt.

Wolfgang Bauer ist tot. Seine Werke werden weiterhin irritieren und durch ihr Abbild einer Tiefenstruktur unserer verwirrenden Realität faszinieren, die fast 40 Stücke nicht nur, die gerade dieser Tage etablierte und junge Theater für sich (wieder)entdeckt zu haben scheinen, sondern auch sein viel zu wenig beachteter "Roman in Briefen", "Der Fieberkopf" (1967), sowie seine Gedichte, deren "konzentrierte Energie" der langjährige Dichterfreund Alfred Kolleritsch bewundert. Ich bin sicher: Die poetische Energie des Wolfi Bauer wird weiterleben.

Kurt Bartsch, Professor für neuere deutsche Literatur in Graz, Schwerpunkt: österreichische Literatur des 20. Jahrhunderts. Mithrsg. der Reihe DOSSIER bei Droschl.

Bauers Tod wurde Freitagnacht bekannt. Eine Teilauflage der Presse enthielt am Samstag einen Nachruf: www.diepresse.at.

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