02.03.2003 22:17
"Mit diesem Österreichischen komme ich nicht
zurecht!"
Beim Solidaritätsabend für das "Depot":
Christoph Schlingensief und Hermes Phettberg im Gespräch
Sind Gespräche überhaupt noch möglich? Wie sollten sie
sich entfalten, wo gerade das dafür gedachte "Depot" geschlossen wird? - Ein
Gespräch zwischen Christoph Schlingensief und Hermes Phettberg, mitgehört und
geschnitten von Richard Reichensperger.
Wien - Vorbemerkung: An Gesprächen nehmen nicht nur die Sprechenden
teil. Sondern auch die Zuhörer. Als solcher aber reißt man für sich selbst Teile
heraus, sucht nach Linien. Aus dem mäandernden Gespräch zwischen
österreichischer Resignation (Phettberg) und deutscher Aktion (Schlingensief) am
Freitag als - bis auf weiteres - letzte Veranstaltung im Depot hier nur drei
Themenkreise: zur Kunst des Gesprächs; zum Verhältnis von abgehobener Kunst und
schmutzigem Leben und zu einer "Kirche der Angst". Ist es ein Requiem oder ein
Aufbruch? Jedenfalls: Es dominieren die Gegensätze.
Phettberg: Du fadisierst dich. Du hättest jetzt gerne: Jetzt
machen wir preußischen Kulturkampf für das Depot.
Schlingensief:
Nein, ich finde ja gerade, dass die Frage nach dem Kampf in gar keiner Weise
diskutiert wird. Kampf heißt ja nicht: Wir kaufen uns jetzt alle dieselben
T-Shirts, und dann sind wir als Gruppe erkennbar - also solche
Strategiespielchen finde ich gar nicht mal interessant.
Phettberg: Dann treiben
wir hier besser Gesprächskunst! Also in der Art etwas wie Abfahrtslauf oder so
was. Mit der Frage, ob und wie Menschen überhaupt in der Lage sind, ein Gespräch
zu führen. Ob man sich vergessen kann oder so sehr auf die Pointe aus ist, auf
Publikum. Ob Gespräch überhaupt unter Menschen möglich ist.
Schlingensief: Vielleicht bin ich auch völlig falsch hier, aber
dass ich hierher komme an dem Tag, an dem das Ding geschlossen werden soll - da
frage ich mich, warum es sich lohnt, das zu schließen. Hier sind Leute gekommen,
die irgendwie wollen, dass wir hier heute Abend ein Gespräch führen, damit wir
noch einen schönen Abend haben. Aber viel interessanter ist doch das reale
Problem, das du doch auch in dir trägst, nämlich diese Möglichkeit, eventuell
Leuten eine Form von - nicht Subversion, sag ich gleich - aber einen
Gemeinschaftsgedanken zu vermitteln. Du bist doch ein Terrorismusgeschädigter,
der aber in meinen Augen bereit wäre, Terror auszuüben, du übst ihn ja sogar
schon aus. Die Frage deiner Erfahrung als Terrorgeschädigter mit anderen
Terrorgeschädigten, welchen Terror können wir jetzt auslösen, hier und
überhaupt, ist eine Zentralfrage an so einen Ort.
Phettberg: Aber
ich bin bereits in jenes Stadium eingetreten, wo das eh klar ist! Darüber wollt
ich jetzt nicht reden. Aber der Punkt, wo sich mein Fußboden nicht aufwäscht. Es
ist ja so: Hier traue ich mich nicht fragen, wer mir den Kuchlfußboden
aufwascht.
Schlingensief: Den Kugel... - was für einen Boden?
Phettberg: Den Küchenfußboden. - Damit sind wir schon mitten im
Thema. Wenn das das Depot ist, dann ist es sozusagen der Kreml des Vatikan. Der
Nicht-den-Fußboden-mir-Aufwaschende. Schlingensief: Als
Abschlussveranstaltung vom Depot ...
Phettberg: Darüber wollte
ich gar nicht reden.
Schlingensief: Mich interessiert aber schon,
dass Orte wie dieser hier in Wien wichtig sind, dass Straßendemos stattfinden.
Und da frage ich mich, inwieweit so ein Ort von der Stadt nicht gefördert werden
müsste, weil dann Leute ganz schnell sehen könnten, wer zu der Clique gehört.
Also, die Stadt fördert's, kann ja ab und zu jemanden reinschicken, der sieht
dann so ähnlich aus, hat auch so blasse Klamotten an und sieht jetzt, wer dabei
ist. Das wär doch die Methode.
Phettberg: Dazu sind unsere
Geheimpolizisten viel zu faul!
Schlingensief: Weil der
Österreicher auf so sexuelle Dinge sich spezialisiert hat?
Phettberg: Ich wollte das Gespräch ja nicht mit Sex beginnen,
sondern mit dem Kuchlfußboden und dass eh alles klar ist.
Schlingensief: Mit der Auffassung kann man gut leben. Ich habe
viele Freunde, die nach Wien gegangen sind, und sie haben sich total verändert.
Dieses Österreichische, damit komme ich gar nicht zurecht, dieses: Ja ja - und
dann noch ein bisschen Todessehnsucht und dann noch ein bisschen Hirngeruch und
dann noch ein toter Fötus, der dann noch rausgezogen wird und an die Wand
genagelt. Auch der Opernball: Aber da ist letzten Endes auch die Frage, ob ihr
nicht auch schon auf dem Opernball seid, auch wenn ihr nicht hingeht. In den
Köpfen.
Phettberg: Aber für mich ist nicht die Welt der Kunst
wichtig, sondern wer mir den Kuchlfußboden aufwäscht. Oder wer mich anspuckt.
Oder auspeitscht. Das sind meine Kunstprojekte!
Schlingensief:
Dabei geht es um was anderes. Ich hatte jetzt eine Diskussion mit dem von Hagen,
der die Leichen präpariert. Und da stand von RTL eine Frau und schrie: Herr
Schlingensief, wann lassen Sie sich plastinieren? Und da hab ich gesagt, ich
kann Ihnen das nicht sagen, weil ich ja erst mal lernen muss zu sterben. Sterben
lernen bedeutet für mich einmal: Erobere dein Grab! Und nicht mit Larmoyanz zu
sagen: Ich kenne den Friedhofsgärtner - sondern das ist eine ganz große Kraft,
die spürst du auch. Also muss man eine Möglichkeit finden, dass es Geld gibt,
das frei verfügbar ist, für jeden Scheiß.
Phettberg: Aber das ist
eh klar. Dass Architekten einen Raum brauchen, um zu sprechen. Worüber reden
wir?
Schlingensief: Die Reizverstärkung ist jedenfalls etwas, was
für mich eine große Rolle spielt. Du spielst ja auch damit: Du kommst hier rein
und beginnst gleich von Spucken, Schlagen usw. Kriegst du deshalb keine
Fernsehsendung mehr? Kriegst du etwas, wo du wirklich eine Öffentlichkeit hast
und nicht so eine simulierte wie hier? Wie wohl fühlt sich der Österreicher in
simulierten Öffentlichkeiten?
Phettberg: Mmmh - mit mir kann man
keinen Staat machen. Aber mit dir könnte man einen Staat machen, ja ja. Du
redest mit dem Staatssekretär - sogar mit dem Haider - mit dem Hader - na, wie
hat er geheißen, dieser, der Kulturchefredakteur in der Presse - Hans Haider.
Schlingensief: Ist das die Zeitung mit dem neuen Design? Wo jetzt
kein Artikel mehr unter dem anderen steht, sondern alles schief? Ich hab' das am
Flughafen zerlegt und sah, da ist hier so eine Freifläche für Notizen. Das fand
ich irgendwie von der Zeitung total nett, dass man da so Platz hat, wo man dann
so reinschreiben kann, wen man dann noch anrufen muss. Bei uns sind die
Zeitungen immer so voll.
Phettberg: Es ist ja ganz klar, dass wir
all das, was das Wunder Schlingensief ...
Schlingensief: Nein!
Gehen wir von einer Kirchengemeinde aus, die wir noch gründen wollen. Das
Richtige wäre: Wir rasieren uns, Haare etc, und kriegen dann eine Show und sind
ganz ruhig und lieb - und dann plötzlich, nach zwanzig Minuten, geht's ab.
Phettberg: Weil wir ja nicht anders können.
Schlingensief: Aber jeder kann nicht anders! Wir müssen sehen,
wie stark uns die Funktionalisierung im Griff hat. In einer Zeitung stand, die
deutsche Durchschnittsfamilie hätte ein Einfamilienhaus, fahre dreimal in Urlaub
- also wie geht denn das? Ich bin gewieft und finde den Drang, das zu erreichen.
Oder ich bin supergewieft und simuliere das: Ich klau' ein Auto und hab' dann
zwei, mache die Jalousien runter und spiele Urlaub. Ich setze diese Kraft, die
für Simulation verlangt wird, ein, um es zu zerstören!
Phettberg:
Das führt in einer Autobahn zur Revolution. Da hat wieder das größte Großmaul,
also du, das Sagen.
Schlingensief: Nein. Ich will im Mai eine
"Kirche der Angst" gründen: Die Angst, die du hast, aber auch die Angst, die in
uns lebt, weil sie demnächst über uns schwebt. Diese Angst in einer Gemeinde zu
bündeln! Es geht um die Bündelung im Gespräch. Ich glaube, wir erleben
irgendwann, dass aus der Gemeinsamkeit ein rhizomartiger Zustand entsteht, dass
überall Pilze rauskommen! (DER STANDARD, 'Kommentar der anderen', Printausgabe,
3.3.2003)