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Rudolf Steiner als Designer

23.06.2011 | 18:15 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

MAK: „Die Alchemie des Alltags“ präsentiert das gestalterische Werk des esoterischen Philosophen:erstaunlich einflussreich, aber von Steiners Dogmatismus gezeichnet.

An ihm scheiden sich die Geister. Die einen halten Rudolf Steiner für einen genialen Visionär, die anderen für einen Esoteriker. Tatsache ist, dass seine Überzeugung, alles sei in der Welt miteinander verbunden, bis heute deutliche Spuren im Alltag hinterlassen hat. Steiner ist Gründer der Waldorfschule, der Marken Weleda und Demeter. Ob Pädagogik, Bewegungstanz (Eurythmie), Medizin (anthroposophische Medizin), Religion (Christengemeinschaft) oder Landwirtschaft (biologisch-dynamischer Anbau) – überall steckt seine Idee von Ganzheitlichkeit drin. Jetzt steht erstmals auch Steiner als Designer im Mittelpunkt.

Vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein vorbereitet, wurde „Die Alchemie des Alltags“ schon in Wolfsburg und Stuttgart gezeigt. In Stuttgart gründete Steiner 1919 die erste Waldorfschule als Betriebseinrichtung für die Arbeiterkinder der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria. Es wundert nicht, dass die Ausstellung dort einen Besucherrekord aufstellte. Aber können die Werke des 1861 im Norden Kroatiens geborenen Geisteswissenschaftlers Steiner auch ohne Wissen über seine Lebensreformen und seinen Glauben an einen „Weltgeist“ verstanden werden? Ohne Wissen über die von ihm gegründete Anthroposophie, die naturwissenschaftliche Konzepte mit spirituellen Vorstellungen und dem Glauben an die verborgenen Kräfte der Natur zu einer esoterischen Weltanschauung verbindet? Um zumindest einen minimalen Einblick in Steiners Lehre zu geben, beginnt die Ausstellung im MAK mit einem Tunnel aus 300 Büchern, allesamt von Steiner geschrieben. Anhand der Buchtitel kann man die ganze Weite dieses Gedankenkosmos erahnen. Eine Zeittafel skizziert sein Leben, das 1925 in Dornach endete. Fotografien und historische Filmaufnahmen zeigen den fließenden, Leib und Raum in Einklang bringenden Eurythmie-Tanz.

 

Organische Formen statt rechter Winkel

Der Schwerpunkt aber liegt auf dem „Goetheanum“. So bezeichnete Steiner das als Hauptsitz der anthroposophischen Gesellschaft in Dornach errichtete Haus: organische Formen statt rechter Winkel – ein Grundsatz, der bestimmend ist für all seine Gestaltungen. Die Ausstellung kombiniert seine Entwürfe, Modelle und Möbel mit Werken von Zeitgenossen wie Le Corbusier bis Mendelsohn. Eine überzeugende Präsentation, die es schafft, ein zentrales Dilemma aufzuzeigen: Zwar war Steiner als Designer erstaunlich einflussreich – aber nur auf der Ebene formaler Aspekte. In allen Möbeln, die deutlich seine Handschrift tragen, steckt dagegen Anthroposophie. Sie sind dogmatisch. Das mag auch der Grund sein, warum das MAK kaum Objekte von Steiner in der Haussammlung hat. Jede Gestaltung Steiners spiegelt das ganze Dilemma seiner Lehre wider, die auf ein Entweder-oder angelegt ist: Entweder man glaubt und schätzt alles oder bleibt skeptisch. Für den Einfluss heißt das: organische Formen ja, aber der klobige, massive Gesamteindruck nein. Im letzten Ausstellungsteil ist zu studieren, was aus Steiners Ideen wurde: vom Video-Interview mit einem Weleda-Chef bis zu Nachbauten der Farbkammern als Therapieräume.

Hier kommt auch etwas Joseph Beuys hinzu, der sich intensiv mit Steiner beschäftigte. Anders als der „Ästhetik“-Teil ist dieser Bereich leider allzu gedrängt. Nur am Rande wird Steiners gewaltiger Einfluss auf die Kunst von Kandinsky bis heute vermittelt. Die Staatsgalerie Stuttgart und das Kunstmuseum Wolfsburg zeigten parallel „Steiner und die Kunst der Gegenwart“ mit Werken von Olafur Eliasson oder Katharina Grosse. Das entfällt leider in Wien. Das MAK sei kein Kunstmuseum, und man lege daher hier nur den einen Schwerpunkt, erklärt Mateo Kries, Kurator der Ausstellung und Direktor des Vitra Museums. So sehen wir hier zwar eine überzeugende Aufarbeitung von Steiner als Designer, aber ohne Kontroversen und nur als Impulsgeber im Rückblick.

MAK, 22.6.–25.9., tgl. außer Montag


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