DiePresse.com

DiePresse.com | Kultur | Kunst | Artikel DruckenArtikel drucken


Gezügeltes Wuchern und Wabern

12.02.2010 | 18:32 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Die Retrospektive zu Linde Wabers 70er wird ihr nicht gerecht.

An vorderster Avantgardefront hat sie nie gekämpft, dafür war sie anfangs einfach zu folgsam, brave Tochter, die den Künstlerinnentraum der Mutter leben sollte, brave Max-Melcher-Schülerin an der Wiener Akademie. Und später, nach unzähligen Reisen rund um die Welt und zwei Kindern, hatte sie mit der klassischen Künstlerkarriere samt Revolutionsgestus pragmatisch abgeschlossen. Für Linde Waber, die unermüdliche Grafikerin, Malerin, Netzwerkerin aus Zwettl und vom Wiener Gaußplatz, ist Erfolg heute nicht mehr in „Kunst“ zu messen, sondern in zwischenmenschlichen Kontakten, sagt sie. Was sich in ihrem verzweigten Werk massiv widerspiegelt.

Das Leopold Museum widmet Linde Waber jetzt anlässlich ihres 70.Geburtstags eine „Retrospektive“ – die ihrem lebhaften Wesen nicht gerecht wird. Zu akademisch wirkt die mittelgroße Ausstellung, zu unentschlossen. Begonnen wird mit der Grafik, ihrer ersten Leidenschaft. Mit 24 machte sie den ersten, expressiven Holzschnitt, als sie in Grasse jobbte und dort Seifen bemalte – ein erdig-warmes „Marseille“, 1964. Doch Akademielehrer Melcher schickte sie nach Japan, um die Technik zu vertiefen, neun Monate statt zwei Jahre hielt sie es nur aus, ein Schlüsselerlebnis für die junge Frau. Doch allein in der Fremde emanzipierte sie sich erstmals, fand zu sich, erzählt sie. Die Blätter wurden leuchtender, zarter. Mit ihrem damaligen japanischen „Meister“ steht sie bis heute in Kontakt. Das Fremdsein prägte sie, der faszinierte Blick auf eine unverständliche Welt zieht sich bis ins Heute, ihre jüngsten Arbeiten, dichte Materialbilder aus Ölfarbe, Sand, Muscheln, Zeitungsausschnitten etc. Es sind Reiseeindrücke von Tibet bis Afrika, an denen Waber besonders die fremden Schriftzeichen faszinierten, die auch in den Bildern überall rätselhaft-hieroglyphisch auftauchen.

 

Porträt des kreativen Arbeitsplatzes

Die Sprache, Literatur war Waber immer wichtig, Freundschaften mit Friederike Mayröcker, Bodo Hell, Liesl Ujvary waren, sind identitätsstiftend. Letztere brachte sie auch auf die Idee der Atelierzeichnungen: Porträts von Künstlern anhand ihrer Arbeitsplätze. Ein wichtiger Werkblock, der Wabers wesentliches Netzwerk klarmacht, präsentiert 2003 in einer üppigen Ausstellung samt Hörproben und Leihgaben von Kollegen im Künstlerhaus.

Mit diesem Charme kann die durch einen kurzfristigen Kuratorenwechsel geschwächte Retrospektive im Leopold nicht mit. Was fehlt, ist das Wuchernde, die Manie, die hinter 500 Atelierzeichnungen und mittlerweile fast 8000 „Tageszeichnungen“ steckt, die Waber seit 1988 täglich anfertigt. Hier ist der Faden zu suchen, der sich sonst von Werkgruppe zu Werkgruppe, die sich je nach dem sprunghaften Temperament der Reisenden stilistisch und technisch stark unterscheiden, verliert. Über Umwege senkt sich das vibrierende Netz von Wabers Weggefährten aber doch noch über die Ausstellung: Ein aufwendiges Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und großer Geburtstagsparty samt Performances bringt das fehlende Leben in die Bude.

Bis 24.Mai; Führung der Künstlerin jeden Donnerstag um 18 Uhr (außer 25.2. und 29.4.); Geburtstagsfest am 24.Mai ab 11 Uhr. Info: www.leopoldmuseum.org


© DiePresse.com