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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
13. November 2008
18:05 MEZ

Bis 1. März 2009

 


Weitgereistes Meisterwerk:Georges Braques "Großes Interieur mit Palette"  (1942) aus der Menil Collection in Houston.

 


Schulter an Schulter mit Picasso
Nach einer langen Braque’schen Dürreperiode zeigt das Kunstforum nun nach 20 Jahren die erste große Georges-Braque-Retrospektive in Mitteleuropa

Wiedergutmachung an einem Meister des Kubismus.


Wien - Wieso Braque, wenn man Picasso zeigen kann? So oder so ähnlich muss man sich wohl die Gründe dafür vorstellen, dass es seit mehr als zwanzig Jahren keine Retrospektive zum Werk von Georges Braque, einem der Hauptvertreter des Kubismus, in Mitteleuropa gegeben hat. Es ist tatsächlich erstaunlich, wenn man auch zugeben muss, dass es nicht besonders aufgefallen ist.

Weniger verwunderlich ist dieser Umstand, wenn man sich vor Augen führt, dass Pablo Picasso bereits zu Lebzeiten der lautere von den beiden war: ein omnipräsenter "Torero der Kunstarena" , der sich meisterhaft zu inszenieren und also auch zu verkaufen wusste. Ausufernde Extravaganz hat sich bei Künstlern schon immer bezahlt gemacht; und Braque war zeit seines Lebens eben nur ein Mal verheiratet und kinderlos.

Erstmals nach der großen Schau 1988 in der Münchner Hypo Kulturstiftung zeigt nun das Kunstforum "den ganzen Braque" , so Heike Eipeldauer, die gemeinsam mit Caroline Messensee die Ausstellung kuratierte. Mehr als fünfzig Leihgeber quer über den Globus, darunter Tate, Moma und Guggenheim, waren zu überreden, einen ihrer Braques für eine Zeitlang zu entbehren - womöglich den einzigen. Nur das Kunstmuseum Basel und Braques Haupterbe, der Enkel von Henri Laurens, verfügen über eine größere Auswahl. Mit etwa 80 Gemälden und einer Reihe druckgrafischer Arbeiten ist in Wien ein rundes Bild, ein chronologischer Abriss aller Perioden seines Schaffens gelungen: von den fauvistischen Anfängen, dem analytischen Kubismus mit den starken Anleihen bei Cézanne über den synthetischen Kubismus und der Erfindung des Papier collé bis zur Weiterführung des Kubismus nach der Genesung von seiner Kriegsverletzung: 1915 wurde er lebensgefährlich am Kopf getroffen.

Danach setzt Braque sein Werk mit großflächigeren Interieurs fort; man bemerkt eine geradezu manische Zuwendung zum Stillleben, das er in unterschiedlichsten und oft ebenso ungewöhnlichen wie reizvollen Formaten variiert. Und immer wieder kommt auch der ausgebildete Dekorationsmaler durch: In der Urform der Collage, den Papier collés, tauchen Tapetenstücke und Holzimitate auf, es folgen Imitate der Imitate. Braque mischt zunehmend Sand in die Farbe, erzeugt so reizvolle haptische Oberflächen, die mit den glänzenden, fast flüssig wirkenden Arbeiten ohne Sand kontrastieren.

Faszinierende Formen

In Großes Interieur (1942) scheinen alle Charakteristika Braques versammelt zu sein. Es fasziniert aber vor allem durch zwei seltsame Formen: Die Silhouette wurde als Palette interpretiert; der aufhellende und zoomende Effekt dieser Gebilde, die ebenso darüber gelegten Schablonen ähneln, wirkt extrem modern und scheint geradezu eine metaphysische Komponente, eine weitere Dimension hinzuzufügen. Solche Bilder zeigen erst, wie schade es ist, dass stets Picasso - dem Braque mit zunehmenden Alter übrigens frappierend ähnelte - bevorzugt wurde.

Aber es gab Zeiten (1910-12), da wurden Braque und Picasso in einem Atemzug genannt, arbeiteten sogar an einer kollektiven Sprache. Einige Picasso-Arbeiten jener Zeit gegenüberzustellen wäre Eipeldauer redundant vorgekommen. Schade ist es dennoch, dass der direkte Vergleich fehlt. Auf die ungleiche Bewertung der beiden wirft eine Anekdote ein neues Licht:Braque soll, so Eipeldauer, manchmal darauf gewartet haben, dass Picasso verreist. Das verschaffte ihm genug Ruhe und Zeit, sich ohne Beobachtung einer neuen Idee zu widmen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.11.2008)

 

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