11.10.2002 00:33
Neue Blicke ohne Helden
Auslöschung in Hollywood: "Deanimated", eine Ausstellung des Filmemachers
Martin Arnold in der Kunsthalle
Ein Gruselfilm, bei dem die Protagonisten verschwinden;
Duelle zwischen Unsichtbaren; Comedy-Darsteller, denen jäh der Witz abhanden
kommt: "Deanimated", eine Ausstellung des Filmemachers Martin Arnold, wurde am
Donnerstag in der Kunsthalle im MQ eröffnet.
Wien - Wie ist das, wenn einem ein lange gewohntes Gegenüber plötzlich
abhanden kommt? Nicht nur der ewige Silvester-Dauerbrenner Dinner for One
weiß: Manche Leute ziehen dann ihr Konversationsprogramm ungerührt weiter
durch - oft mit erheiternden Auswirkungen, manchmal aber auch mit eher
beklemmenden Folgen: Invisible Ghost (1941), ein in jeder Hinsicht
haarsträubendes B-Picture mit Bela Lugosi, beginnt denn auch mit so einer
horriblen Abwesenheit. Verlassen von seiner Frau, die danach angeblich auch noch
einen tödlichen Unfall hatte, vollzieht der Held ungerührt weiter das Ritual
eines gemeinsamen Abendessens.
Für den österreichischen Filmemacher
Martin Arnold war dies ein idealer Ausgangspunkt für ein zunehmend komplexes
Spiel mit Abwesenheiten und Auslöschungen: Die Charaktere von Invisible Ghost
beginnen nun dort zu verstummen, wo früher hanebüchene Dialoge einen
mühsamen Kriminalplot vorantrieben. Menschen verschwinden, andere reden also ins
Leere, bis zuletzt ein Detektiv ratlos fragt: "What now?" Es ist, als beginne
mit dem am Ende völlig entleerten Haus, zu dem nur noch die Musik Dramen
andeutet, der Film selbst zu sterben.
Deanimated nennt Martin
Arnold nun sowohl "seine" Version von Invisible Ghost wie auch eine heute
Abend in der Wiener Kunsthalle eröffnete Ausstellung, in deren Rahmen gleich
drei solcher Manipulationen präsentiert werden: Während Deanimated selbst
in einem mit Stühlen überfüllten "Kino" noch eine klassische Projektion erfährt,
stehen dagegen in einer anderen Kabine entleerte Straßen aus Fred Zinnemanns
Western High Noon: Unter dem Titel Dissociated tauchen zwar zu
Schüssen immer wieder Rauchwölkchen auf. Aber wo sind die Cowboys? Es ist, als
würde sich eine Hollywood-Setdekoration auf beschwingt jämmerliche Weise selbst
zerlegen.
Erregtes Schweigen
Die dritte Installation
schließlich knüpft am deutlichsten an Martin Arnolds bisherige Filme (Pièce
touchée, Passage à l'acte und Life Wastes Andy Hardy) an:
Hatte er bisher durch Veränderungen von Kaderabfolgen Helden zu spastischen
Zuckungen oder zum Stottern gebracht, so bewirkt nun in Forsaken
digitales Morphing zweier Damen aus dem Screwball-Comedy-Klassiker All
about Eve, dass diese recht erregt verstummen.
Auf zwei Leinwänden
voneinander separiert und einander gegenüber positioniert, schweigen sie nun
quasi aneinander vorbei. Rund 600 Mikroelemente von Stille aus der an und für
sich sehr dialoglastigen Originalszene wurden für diese skurrile Endlosschleife
digital ineinander verwoben: Erstmals arbeitete Martin Arnold denn auch in den
Räumlichkeiten der Produktionsfirma amour fou mit einem Team von Künstlern
und Computerspezialisten. Wobei für alle drei Installationen gewisse
handwerkliche Fertigkeiten quasi in einem "learning by doing" erworben werden
mussten.
Normalerweise werden für Sciencefiction- oder Actionfilme ja
bevorzugt digitale Details hinzuerfunden. Wie aber löscht man, was vorher für
ein Spektakel unabdingbar schien? "Die Grundidee", so Martin Arnold, "war ja am
Anfang sehr offen und ohne konkretes Ausgangsmaterial: Was passiert mit dem
filmischen Gewebe, wenn man das Zentrum herausnimmt? Das Zentrum ist bei
narrativem Kino natürlich immer der Schauspieler. Eine handelnde Figur, der
alles zuarbeitet: Schnitt, Kamera etc. Was würde übrig bleiben, wenn diese Figur
nachträglich gelöscht wird?"
Die Antwort lautet nun bei der Betrachtung
von Arnolds Filmen: Die Wahrnehmung des Raumes wird irre. Der Blick, der vorher
stets von einem Handlungsablauf wie an der Leine geführt wurde, beginnt, jedes
kleinste Detail wie Indizien abzuklopfen. "Is something wrong?": Auch die
reduzierten Gesprächspassagen vermitteln nur noch Unsicherheit, in einer
Mischung aus Grusel und grimmigem Witz, an der David Lynch vermutlich seine
helle Freude haben dürfte.
"Dabei haben wir gar nicht unbedingt nur
'Defekte' eingearbeitet", meint Arnold: "Oft fühlten wir uns am Computer eher
wie Schönheitschirurgen: Etwa, wenn wir die Personen von besonders blöden Sätzen
erlösten." So sitzen die Figuren am Rande zum Nichts da, als würden sie auf die
von Andy Warhol beschworenen 15 Minuten Ruhm warten: Nur zwingt sie keiner mehr,
Unsinn zu reden. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2002)