Der Luxus eines Filmfestivals: Gleich drei neue
Arbeiten des großen Jonas Mekas hat die Viennale heuer vorzuzeigen. Neben
zwei unsteten Trailern, deren zittrige Nostalgie in der zarten Satire
aufgeht, erreicht uns nun auch Mekas' Opus magnum: As I Was Moving
Ahead Occasionally I Saw Glimpses of Beauty, knapp dreihundert Minuten
Kino, Ansichten aus 35 Jahren filmemacherischen Lebens, Evokationen eines
fernen, vergangenen Glücks, die Apotheose des home movie.
"DIE PRESSE": Sie erzählen anfangs in Ihrem neuen
Film, daß Sie die Szenen eher zufällig angeordnet hätten: in jener
Reihenfolge, die Sie im Regal vorgefunden hätten.
Jonas Mekas: Das ist das Prinzip, der Beginn: Ich
vertraue mich dem Zufall an, aber dann macht man doch kleine Korrekturen,
baut die Dinge ein wenig um. Es ist nie ganz zufällig.
Kürzen Sie die Filmstücke denn, wenn Sie sie
benutzen?
Mekas: Nein. Wenn ich etwas eliminiere, dann jeweils
die ganze Sequenz. Was bleibt, bleibt ganz. In meiner Art des
Filmemachens ist es unmöglich, nachträglich zu schneiden: Alle meine Filme
sind in der Kamera montiert, sie repräsentieren meine Gefühle, meinen
Herzschlag, während ich filme. Das ist sehr komplex, wie beim Jazz. Von
John Cage habe ich viel gelernt, vor allem das Prinzip des Zufalls. Es ist
alles automatisch, intuitiv. Zwischen zwei Aufnahmen versuche ich die
vorhergehende, so gut es geht, zu vergessen, um die folgende nicht durch
Planung zu behindern. Zuviel vom Immergleichen ist langweilig.
Haben Ihre Filme Themen?
Mekas: Das Thema ist das Leben, es gibt kein anderes:
wie das Leben dahingeht. Dazu kann es kein Drehbuch geben.
Ihr Kino dreht sich um Freiheit.
Mekas: Um Unabhängigkeit. Wer frei sein will, soll
frei sein, auch Länder, Völker. Aber dagegen wird gekämpft. Ich kann die
Welt nicht verstehen, in der ich lebe. Ich bin anderswo, ich erschaffe mir
meine eigene Welt.
Wann haben Sie das Verständnis für die Welt denn
verloren?
Mekas: Als ich mein Dorf in Litauen verlassen habe.
Als ich sechzehn war, habe ich meine erste Kamera gekauft, da marschierte
die russische Armee gerade in Litauen ein. Und ich hab' Photos davon
gemacht, vom Straßenrand aus. Plötzlich reißt mir jemand wütend die Kamera
aus der Hand, öffnet sie, wirft den Film in den Staub. Erst später hab ich
begriffen, daß ich da Glück gehabt habe, daß man mich auch erschießen
hätte können. Das war meine erste Lektion: was alles passieren kann, wenn
man Bilder macht.
Viele Ihrer Filme feiern die Natur, das Licht. Darin
scheint eine Nähe zu Stan Brakhage zu bestehen.
Mekas: Aber Brakhage sieht die Natur eher
universell.
Kosmisch ...
Mekas: Kosmisch, ja: das Innen, das Außen, die
Unendlichkeit. Er ist apokalyptischer als ich, ich bin down to
earth, viel simpler. Sein Verständnis der Natur ist finster, sehr
poetisch.
Ihr neuer Film stellt eine ungeheure Investition von
Emotion dar, eine fast schon riskante Privatheit.
Mekas: Aber es ist nicht so privat wie, sagen wir,
Anais Nins Bücher. Mein Kino ist persönlich, aber auch allgemein.
Ich zögere, alles auszubreiten. Wir alle brauchen Intimität. Wenn
man den Sinn für Scham verliert, reduziert man sich sehr, man wird
öffentlich und verliert Wesentliches von sich selbst. Ich glaube nicht an
die totale Öffnung.
Ein Dichter, heißt es in Ihrem Film, müsse sich
tagtäglich disziplinieren. Gilt das auch für Sie?
Mekas: Mehr oder weniger. Es ist einfach, sich zum
Poeten zu stilisieren und sein Leben zur Kunst zu erklären. Aber man muß
an seinen Obsessionen hart arbeiten. Man darf seine Muse nicht verraten.
Als ich drei Jahre alt war, hab' ich meinem Vater epische Geschichten
erzählt, vorgesungen. Das Poetische geht weit, sehr weit zurück. Man muß
die Geschenke respektieren, mit denen die Musen, die Götter einen in die
Welt schicken. Das fordert eben Disziplin.
Wann haben Sie sich für die Kunst entschieden?
Mekas: Früh, ohne Form und Struktur noch, aber die
Obsession war da. Dieses Gefühl, das ich hatte, damals, als Drei-,
Vierjähriger, ereilt mich am Schneidetisch noch heute.
Wie haben Sie das legendäre New Yorker Anthology Film
Archive bis heute erhalten, finanziert?
Mekas: Das Anthology ist nicht finanziert.
Es ist konstanter, endloser Kampf. Dennoch ist eine Sammlung
entstanden: Wir haben 30.000 Filme, von denen wir - ohne Archivarbeiter -
nicht wissen, wo sie sind.
Was Sie dort präsentiert haben, war ja hochexplosiv:
Leute wurden verhaftet, weil Sie Jack Smiths "Flaming Creatures"
zeigten.
Mekas: Ich wurde verhaftet. Wegen Flaming
Creatures und Jean Genets Chant d'amour. Ein Jahr später wurden
deshalb die Zensurbestimmungen gelockert.
Heute fühlt sich niemand mehr provoziert von Ihrem
oder Brakhages Kino. Ist das ein gutes Zeichen?
Mekas: Das hat mit der Digitalisierung der Kunst zu
tun. Aber Video ist ja noch vergänglicher als Film. Ich hab' festgestellt,
daß mein Material schnell verblaßt, verfällt, nur deshalb hab ich den Film
überhaupt fertiggestellt. Ich konnte nicht länger warten, ich mußte etwas
tun.
("As I Was Moving Ahead...": Samstag, 18 Uhr, Metro;
Sonntag, 12.30 Uhr, Künstlerhaus.)
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