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20.10.2001 - Film
Das Poetische geht weit zurück
Jonas Mekas, 78, das Herz und der Blick des US-Avantgardefilms seit den sechziger Jahren, erweist der Viennale die Ehre seiner Anwesenheit. Interview mit einem großen Privatier des Kinos.


Der Luxus eines Filmfestivals: Gleich drei neue Arbeiten des großen Jonas Mekas hat die Viennale heuer vorzuzeigen. Neben zwei unsteten Trailern, deren zittrige Nostalgie in der zarten Satire aufgeht, erreicht uns nun auch Mekas' Opus magnum: As I Was Moving Ahead Occasionally I Saw Glimpses of Beauty, knapp dreihundert Minuten Kino, Ansichten aus 35 Jahren filmemacherischen Lebens, Evokationen eines fernen, vergangenen Glücks, die Apotheose des home movie.

"DIE PRESSE": Sie erzählen anfangs in Ihrem neuen Film, daß Sie die Szenen eher zufällig angeordnet hätten: in jener Reihenfolge, die Sie im Regal vorgefunden hätten.

Jonas Mekas: Das ist das Prinzip, der Beginn: Ich vertraue mich dem Zufall an, aber dann macht man doch kleine Korrekturen, baut die Dinge ein wenig um. Es ist nie ganz zufällig.

Kürzen Sie die Filmstücke denn, wenn Sie sie benutzen?

Mekas: Nein. Wenn ich etwas eliminiere, dann jeweils die ganze Sequenz. Was bleibt, bleibt ganz. In meiner Art des Filmemachens ist es unmöglich, nachträglich zu schneiden: Alle meine Filme sind in der Kamera montiert, sie repräsentieren meine Gefühle, meinen Herzschlag, während ich filme. Das ist sehr komplex, wie beim Jazz. Von John Cage habe ich viel gelernt, vor allem das Prinzip des Zufalls. Es ist alles automatisch, intuitiv. Zwischen zwei Aufnahmen versuche ich die vorhergehende, so gut es geht, zu vergessen, um die folgende nicht durch Planung zu behindern. Zuviel vom Immergleichen ist langweilig.

Haben Ihre Filme Themen?

Mekas: Das Thema ist das Leben, es gibt kein anderes: wie das Leben dahingeht. Dazu kann es kein Drehbuch geben.

Ihr Kino dreht sich um Freiheit.

Mekas: Um Unabhängigkeit. Wer frei sein will, soll frei sein, auch Länder, Völker. Aber dagegen wird gekämpft. Ich kann die Welt nicht verstehen, in der ich lebe. Ich bin anderswo, ich erschaffe mir meine eigene Welt.

Wann haben Sie das Verständnis für die Welt denn verloren?

Mekas: Als ich mein Dorf in Litauen verlassen habe. Als ich sechzehn war, habe ich meine erste Kamera gekauft, da marschierte die russische Armee gerade in Litauen ein. Und ich hab' Photos davon gemacht, vom Straßenrand aus. Plötzlich reißt mir jemand wütend die Kamera aus der Hand, öffnet sie, wirft den Film in den Staub. Erst später hab ich begriffen, daß ich da Glück gehabt habe, daß man mich auch erschießen hätte können. Das war meine erste Lektion: was alles passieren kann, wenn man Bilder macht.

Viele Ihrer Filme feiern die Natur, das Licht. Darin scheint eine Nähe zu Stan Brakhage zu bestehen.

Mekas: Aber Brakhage sieht die Natur eher universell.

Kosmisch ...

Mekas: Kosmisch, ja: das Innen, das Außen, die Unendlichkeit. Er ist apokalyptischer als ich, ich bin down to earth, viel simpler. Sein Verständnis der Natur ist finster, sehr poetisch.

Ihr neuer Film stellt eine ungeheure Investition von Emotion dar, eine fast schon riskante Privatheit.

Mekas: Aber es ist nicht so privat wie, sagen wir, Anais Nins Bücher. Mein Kino ist persönlich, aber auch allgemein. Ich zögere, alles auszubreiten. Wir alle brauchen Intimität. Wenn man den Sinn für Scham verliert, reduziert man sich sehr, man wird öffentlich und verliert Wesentliches von sich selbst. Ich glaube nicht an die totale Öffnung.

Ein Dichter, heißt es in Ihrem Film, müsse sich tagtäglich disziplinieren. Gilt das auch für Sie?

Mekas: Mehr oder weniger. Es ist einfach, sich zum Poeten zu stilisieren und sein Leben zur Kunst zu erklären. Aber man muß an seinen Obsessionen hart arbeiten. Man darf seine Muse nicht verraten. Als ich drei Jahre alt war, hab' ich meinem Vater epische Geschichten erzählt, vorgesungen. Das Poetische geht weit, sehr weit zurück. Man muß die Geschenke respektieren, mit denen die Musen, die Götter einen in die Welt schicken. Das fordert eben Disziplin.

Wann haben Sie sich für die Kunst entschieden?

Mekas: Früh, ohne Form und Struktur noch, aber die Obsession war da. Dieses Gefühl, das ich hatte, damals, als Drei-, Vierjähriger, ereilt mich am Schneidetisch noch heute.

Wie haben Sie das legendäre New Yorker Anthology Film Archive bis heute erhalten, finanziert?

Mekas: Das Anthology ist nicht finanziert. Es ist konstanter, endloser Kampf. Dennoch ist eine Sammlung entstanden: Wir haben 30.000 Filme, von denen wir - ohne Archivarbeiter - nicht wissen, wo sie sind.

Was Sie dort präsentiert haben, war ja hochexplosiv: Leute wurden verhaftet, weil Sie Jack Smiths "Flaming Creatures" zeigten.

Mekas: Ich wurde verhaftet. Wegen Flaming Creatures und Jean Genets Chant d'amour. Ein Jahr später wurden deshalb die Zensurbestimmungen gelockert.

Heute fühlt sich niemand mehr provoziert von Ihrem oder Brakhages Kino. Ist das ein gutes Zeichen?

Mekas: Das hat mit der Digitalisierung der Kunst zu tun. Aber Video ist ja noch vergänglicher als Film. Ich hab' festgestellt, daß mein Material schnell verblaßt, verfällt, nur deshalb hab ich den Film überhaupt fertiggestellt. Ich konnte nicht länger warten, ich mußte etwas tun.

("As I Was Moving Ahead...": Samstag, 18 Uhr, Metro; Sonntag, 12.30 Uhr, Künstlerhaus.)



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